Auch als Audio-Podcast auf YouTube abrufbar unter https://youtu.be/CwHUMiMVEdg

12. Januar 2022

 

„Denn ich gebe ihnen Zeugnis, dass sie Eifer für Gott haben, aber nicht mit rechter Erkenntnis“ (Röm 10,2).

Im Herbst 2021 bildete sich unter Mitwirkung von Wolfgang Nestvogel und anderen Brüdern eine neue Initiative mit dem plakativen Titel „Wir schließen niemanden aus!“ Den Begriff „ausschließen“ kannten wir bisher im christlichen Umfeld eigentlich hauptsächlich im Zusammenhang mit Gemeindezucht. Da war dieser Terminus eher negativ besetzt.

Aber nun wird er positiv gefüllt. Niemand soll aus christlichen Veranstaltungen ausgeschlossen werden. Alle dürfen kommen. Es gibt keine Zugangskontrolle. Niemand braucht ein Impf- oder Test-Zertifikat. Null-G ist angesagt. Klingt das nicht super?

Um es gleich vorweg zu sagen: Ich achte jedermanns Überzeugungen. Wenn Christen sich so geführt sehen und dabei staatliche Einschränkungen übertreten, weil sie meinen, in diesem Fall Gott mehr gehorchen zu müssen als den Menschen, respektiere ich das. Ich verurteile niemanden.

Doch selbst unsere tiefsten und frömmsten Überzeugungen können objektiv falsch sein. Paulus bescheinigte den Juden seiner Zeit durchaus Eifer für Gott – aber es fehlte die richtige Erkenntnis.  Diesen einen Aspekt möchte ich aufgreifen und auf die Erklärung „Wir schließen niemanden aus“ anwenden. Auch uns Christen mangelt es hier und da an Erkenntnis – womöglich mir und eventuell auch den Verfassern der Erklärung. Deswegen müssen wir kritisch fragen: Hält dieser tolle Slogan „Wir schließen niemanden aus“ einer biblischen Überprüfung stand?

 

  1. Zur Zeit des Alten Testaments und zur Zeit Jesu waren Aussätzige von der Volksgemeinschaft ausgeschlossen

Schon zur Zeit des Alten Testaments gab Gott seinem Volk Israel ganz detaillierte Hygiene-Bestimmungen – z.B. in 3. Mose 11 – und noch zur Zeit Jesu mussten Aussätzige außerhalb der Volksgemeinschaft leben. Ich weiß, dass Aussatz und eine Virus-Krankheit zwei völlig verschiedene Paar Stiefel sind. Und dass Aussatz damals oder Lepra heute möglicherweise gefährlicher war als Corona, will und kann ich nicht beurteilen. Ich bin kein Mediziner. Mir geht es nicht um die Art der Krankheit, sondern um die Schutzvorkehrungen vor Ansteckung. Jesus Christus hat die Regelungen aus dem 3. Buch Mose nicht aufgehoben, sondern voll akzeptiert. Er hat Aussätzige geheilt, aber er hat damals von seinen Zuhörern nicht verlangt, sich ohne Schutz mit den Aussätzigen gemeinsam zu seinen Füßen zu setzen.

Warum lassen theologisch geschulte Leiter diese biblischen Tatsachen einfach außen vor? Wie gehen sie mit anderen Menschen um, die schwer ansteckende Krankheiten haben und wie rechtfertigen sie das gegenüber denen, die dann möglicherweise wegen nichtbeachteter Hygienevorschriften krank geworden sind? Ein mir persönlich bekannter Bruder hat OHNE ES ZU WISSEN mehrere Personen mit Covid-19 angesteckt, wovon zwei Männer im besten Alter leider verstorben sind.

Und würden die Unterzeichner das auch fordern, wenn sich statt Corona beispielsweise das Ebola-Virus verbreiten würde? Merken wir, wie problematisch diese Parole sein kann?

 

  1. Die vermeintlich Starken schließen – freilich ohne es zu wollen – die Schwachen aus

Was ist mit denen, die nicht kommen, weil sie zu einer Risikogruppe gehören und in Sorge sind, durch die Unachtsamkeit anderer angesteckt zu werden? Ich kenne solche Geschwister. Sie kommen zurzeit nicht, weil „die vermeintlich Starken“ so leichtfertig mit der Gefahr einer Ansteckung umgehen (siehe auch Punkt 4).

 

  1. Aber Jesus hat doch gesagt, dass ALLE zu ihm kommen sollen?

Ja, das hat er! Jeder Mensch kann jederzeit und an jedem Ort zu Jesus kommen! Daran ist doch überhaupt niemand gehindert. Unser Heiland sprach in Matthäus 11 eben nicht von Gemeindezusammenkünften in Pandemie-Zeiten. Damals kamen die Hilfesuchenden direkt und physisch zu ihm. Heute kann jeder Mensch an jedem Ort zu jeder Zeit geistlich zum Heiland kommen.

Der Missionsleiter einer großen Mission, den ich persönlich außerordentlich schätze, verwendete in einer Artikel-Überschrift jedoch die reißerische, ironisch formulierte Aussage: „Kommt her alle ‚3G‘!“ Damit wollte er sagen, dass nur Geimpfte, Genesene bzw. Getestete kommen dürfen und dass diejenigen, die nicht die 3G-Bedingungen erfüllen, vom Gottesdienst ausgeschlossen sind. Manche stoßen sich am Impfen, manche auch bereits am Testen. Wäre es nicht viel mehr eine geistliche, einheitsfördernde Lösung und überdies ein Akt echter Nächstenliebe, wenn die Gemeinde die Testkosten für alle übernehmen würde, die weder geimpft noch genesen sind? Dann könnten doch auch alle teilnehmen, oder?

Einige Christen bemühen auch die Losung des Jahres 2022: „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen“ (Joh 6,37). Das ist wirklich eine wunderbare Einladung. Erst kürzlich durfte ich miterleben, wie ein 74jähriger Mann mit mir zusammen seine Knie beugte und zu dem Herrn Jesus kam. Er wurde nicht abgewiesen, sondern angenommen!

Wenn unbelehrte Christen oder Junggläubige einen Auslegungsfehler machen, ist das sicherlich zu entschuldigen. Wenn jedoch hermeneutisch geschulte Gemeinde-Älteste oder Leiter von Missionswerken sämtliche Auslegungsprinzipien in den Wind schlagen und Aussagen völlig aus dem Zusammenhang reißen, nur um ihre Sicht damit zu stützen, ist das nicht bedenklich?

Es ist schlicht und einfach ein Denkfehler, wenn wir in der Erklärung „Wir schließen niemanden aus“ auf deren gleichnamiger Homepage folgende Sätze finden:

„Wir bekennen uns zur freien Ausübung des Gottesdienstes – für alle Menschen! Aus diesen theologischen und gewissensbedingten Gründen und in völliger Übereinstimmung mit Art 4 GG werden wir unter keinen Umständen akzeptieren, dass ein G-2-Status (geimpft, genesen) oder ein G-3-Status (geimpft, genesen, getestet) zur Bedingung für die Teilnahme an unseren Gottesdiensten gemacht wird.“ (Hervorh. v. Autor)

Übrigens wird hier verschwiegen, dass im Infektionsschutzgesetz (IfSG) festgelegt ist, dass Grundrechte bei Epidemien vorübergehend eingeschränkt werden können. Auch wenn eine Fliegerbombe aus dem 2. Weltkrieg entschärft werden muss und manchmal 5.000 Menschen aufgefordert werden, ihre Häuser zu verlassen, wird ihr Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung vorübergehend eingeschränkt. Natürlich hinkt dieser Vergleich. Eine Entschärfung dauert meistens nur wenige Stunden – die Einschränkungen der Pandemie ungleich länger. Trotzdem werden in beiden Fällen vorübergehend auf rechtlicher Basis Grundrechte von Bürgern eingeschränkt, weil die körperliche Unversehrtheit von VIELEN höher bewertet wird als die Freiheit von EINZELNEN. Wie wir aus den Medien wissen, kommt es im Zusammenhang mit Bombenentschärfungen dennoch immer wieder vor, dass sich Einzelne den Anordnungen der Behörden widersetzen und schließlich mit polizeilicher Gewalt aus dem Gefahrengebiet gebracht werden müssen.

Einige der in Art. 1 bis 19 im Grundgesetz verbrieften Grundrechte waren oder sind wegen der zurzeit herrschenden Pandemie (teilweise) eingeschränkt:

Art. 2 Abs. 1: Freie Entfaltung der Persönlichkeit, Art. 4 Abs. 1 und 2: Religionsfreiheit, Art. 8: Versammlungsfreiheit (die beiden letztgenannten Einschränkung treffen uns Christen besonders), Art. 12, Abs. 1: Berufsfreiheit und Art. 13 Abs. 1: Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung.

Über die Verhältnismäßigkeit solcher Maßnahmen müssen in einer funktionierenden Gewaltenteilung dann die Gerichte entscheiden. Dabei geht es um eine so genannte Güterabwägung: auf der einen Seite das individuelle Recht des Einzelnen auf seine Grundrechte, auf der anderen Seite das Allgemeinwohl, in diesem Fall also die Gesundheit der Bevölkerung. Am 30.11.2021 hat übrigens das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe festgestellt, dass die Einschränkungen der so genannten „Corona-Notbremse“ (z.B. Ausgangsbeschränkungen und Schulschließungen) verfassungsgemäß waren.

Haben die Initiatoren der Gruppe „Wir schließen niemanden aus“ diese Dinge bedacht und sorgfältig abgewogen? Wir respektieren die Glaubensüberzeugungen jedes Menschen. Aber wird hier nicht einer gewissen Rigorosität Vorschub geleistet? Wir fürchten, dass sich einige Christen bald im Gefängnis wiederfinden werden. Aus unserer Sicht werden sie sich vor Gott dann nicht auf die „clausula Petri“ berufen können („Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“ – Apg 5,29), denn die Verkündigung und Verbreitung des wahren biblischen Evangeliums ist in keiner Weise verboten worden. Im Gegenteil. Zurzeit gibt es sogar einige begünstigende Sonderregelungen für Christen und Gemeinden.

Auf der Homepage von „Wir schließen niemanden aus!“ hat sich auch die ziemlich extreme Gruppe „CHRISTEN IM WIDERSTAND“ des Berliner Predigers Christian Stockmann eingetragen. Möchten die seriösen Gemeinden und Werke wirklich mit dieser Initiative in einen Topf geworfen werden?
  1. Ein kurioses Paradox

Im vergangenen Jahr 2021 nahm ich mit einem Bruder an einer Art „Untergrund-Gottesdienst“ teil. Eine Gemeinde versammelte sich an einem unbekannten Ort zu unbekannter Zeit. Man musste über ein Kontaktformular auf der Homepage dieser Gemeinde Ort und Zeit erfragen. Die Zusammenkunft fand in einem höheren Stockwerk eines Industriekomplexes statt. Es gab keinerlei Beschriftungen oder Hinweise. Alleine, ohne fremde Hilfe, hätten wir die Gemeinde nur schwer gefunden. Wir schlossen uns einigen Gemeindegliedern an und trotteten hinter ihnen her. Im Versammlungsraum angekommen, trug niemand der Anwesenden eine Maske, alle begrüßten sich mit Handschlag. Lange Zeit wurde kein Fenster geöffnet. Wir fragten uns unwillkürlich, ob es für diese gottesfürchtigen Christen kein Corona gäbe? Als der Gottesdienst begonnen hatte, wurden sowohl der Raum als auch das gesamte Gebäude abgeschlossen!

Diese Gemeinde ist ebenfalls der Initiative „Wir schließen niemanden aus!“ beigetreten. Ist das nicht paradox? Wer soll sie denn an ihrem geheimen Ort finden? Werden denn Nichtchristen wirklich das Kontaktformular benutzen? Muss sich diese Gemeinde nicht fragen lassen, wer diese hohen Hürden überwinden kann? Haben sich diese ernsthaften Geschwister etwa unnötigerweise wegen bestimmter Hygieneregeln in den Status der Christenverfolgung manövriert?

Ein abschließender Appell an die Ältesten der Gemeinden

Noch einmal: Ich respektiere die Glaubens- und Gewissensüberzeugungen jedes Menschen – erst recht die, meiner Brüder und Schwestern. Das Motiv der Initiatoren von „Wir schließen niemanden aus!“ ist auf den ersten Blick edel und rein. Ich selbst wünschte von Herzen, dass die Pandemie bald in eine Endemie übergehen würde und wir über solche Einschränkungen gar nicht mehr sprechen bräuchten.

Nach dem Neuen Testament tragen die Ältesten einer Gemeinde die Verantwortung für den Weg, den die Versammlung geht. Darum möchte ich die Ältesten bitten, gründlich zu prüfen: Ist dieses Motto, das mit einer Art von Gelübde verbunden ist, wirklich biblisch? Werden hier nicht untergeordnete Verhaltensregeln absolut gesetzt? Führt dieser in gewisser Weise „radikale“ Ansatz nicht unweigerlich zur Spaltung unter den bibeltreuen Christen? Letzteres würde dem Geist Jesu Christi sicherlich nicht entsprechen. Bevor wir uns womöglich irgendwie unbemerkt verrennen, wollen wir prüfen, ob wir wirklich weise, besonnen und Gott wohlgefällig handeln – damit es nicht auch von uns heißt:

„Denn ich gebe ihnen Zeugnis, dass sie Eifer für Gott haben, aber nicht mit rechter Erkenntnis“ (Röm 10,2).