Hector Gottfried Masius (1653 – 1709)

Bearbeitet von Georg WALTER, Schömberg; veröffentlicht am 19.10.2023

 

 1. Frage

Ob Gott der Herr in seinem geoffenbarten Wort anders rede, als er‘s meinet, und bei sich beschlossen hat? Kurzum: Ob sein heimlicher wohlgefälliger Wille anders sei, als sein äußerlicher geoffenbarter Wille?

Die Lutheraner sagen: Nein.

Die Reformierten [Calvinisten] sagen: Ja.

Anmerkung: Masius stellt hier die Sicht der Lutheraner und der Reformierten gegenüber. Ich bin kein „Lutheraner“; dennoch bin ich mit den Argumenten der Lutheraner voll und ganz in Übereinstimmung. Wilfried Plock, apologia

Beweis der Lutheraner

Dass Gott in seinem geoffenbarten Wort nicht anders rede, als er es meinet und bei sich beschlossen hat, und dass sein heimlicher wohlgefälliger Wille nicht anders sei als sein äußerlicher geoffenbarter Wille, beweisen wir daher:

  1. Weil Gott unwandelbar ist in seinem Wesen und Willen, wahrhaftig und beständig. Davon zeugt 4Mose 23,19: Gott ist nicht ein Mensch, dass er lüge, noch ein Menschenkind, dass ihm etwas gereue. Sollte er etwas sagen und nicht tun, sollte er etwas reden und nicht halten? Psalm 33,4: Des Herrn Wort ist wahrhaftig und was er zusagt, das hält er gewiss. Maleachi 3,6: Ich bin der Herr, der nicht lüget; Johannes 17,17: Dein Wort ist die Wahrheit.
  2. Was Gott hasst, das wird er ja nicht selbst an sich haben. Nun aber hasst er diejenigen, die mit ihrem Nächsten anders reden, als sie es meinen. Der Herr hat Gräuel an den Falschen, Psalm 5,7. 5Mose 1,4.Gott ist treu. Treu ist Gott, und ist kein Böses an ihm, 1Kor 4,13. Wie sollte er denn einen andern verborgenen Willen bei sich hegen, der von seinem äußerlichen Willen verschieden ist, ja demselben gar entgegen wäre?
  3. Der geoffenbarte Wille Gottes von unserer Seligkeit gibt uns genugsam zu erkennen, dass Gott uns nichts verborgen habe, was unsere Seligkeit angeht, davon spricht Apostelgeschichte 20,27: Ich habe euch nichts verhalten, dass ich nicht verkündiget hätte allen den Rat Gottes. 1Korinther 2,7: Wir reden von der heimlichen verborgenen Weisheit Gottes, welche Gott verordnet hat vor der Welt zu unserer Herrlichkeit.
  4. Wie Gott einig im Wesen, so ist er auch einig im Willen, und in ihm ist selbst nichts zuwider.
  5. Der da will (Matthäus 5) dass Ja soll Ja sein bei den Menschen, sollte bei dem Ja Nein sein? Der da einen Eid tut (Hesekiel 3), sollte der meineidig werden?
  6. So können wir ja nicht bauen auf Gottes Wort und müssten stets fürchten und zweifeln, ob er es so meinet, als er redet, welches gegen den Grund des Glaubens läuft.

 

Einwürfe der Reformierten

1. Einwurf der Reformierten. Dass man von reformierter Seite Gott dem Herrn einen zwiefachen unterschiedlichen Willen beilege, welchen sie als den bezeichneten äußerlichen Willen und den wohlgefälligen Willen[1] oder den verborgenen Willen[2] und den geoffenbarten Willen[3] unterscheiden, ist genugsam bekannt, woraus sie den Schluss ziehen, dass Gott zwar in seinem Wort nach dem äußerlichen Willen bezeuge, er wolle alle selig haben; nach seinem heimlichen Willen und Wohlgefallen aber wolle er nicht alle Menschen selig haben, sondern nur die Auserwählten. Ob zwar, sagt Beza[4], Gott der Herr kein Heuchler ist, sondern ein Richter der Heuchler, so wird doch sein Wille von uns auf zweierlei Weise betrachtet, nämlich zuerst, insofern er uns etwas offenbart, und dann, sofern in ihm etwas verborgen liegt, welches wohl zuweilen mit dem, so er offenbart, übereinkommt, bisweilen aber auch davon abweichet.

Noch gröber gehet Bucanus[5] heraus. Man muss die Sache recht erklären, sagt er, denn Gott will zwar nicht die Sünde nach seinem geoffenbarten Willen, er will sie aber nach seinem wohlgefälligen und heimlichen Willen.

Wendelin[6] ist der gleichen Meinung und will sie beweisen mit zwei Beispielen, welche auch sonst die Reformierten allgemein anführen.

II. Einwurf der Reformierten. Dass Gottes äußerlicher Wille gewesen, Abraham sollte seinen Sohn schlachten, denn dies habe er ja Abraham äußerlich befohlen, aber sein verborgener Wille sei gewesen, dass er ihn nicht schlachten sollte, wie es auch Gott der Herr nachher verhindert habe. Woraus dann folgte, dass Gott etwas äußerlich von seinem Willen bezeuge, welches er doch innerhalb nicht wolle, noch beschlossen habe.

Antwort der Lutheraner (1). Obgleich in diesem Beispiel zwischen dem äußerlichen Befehl und innerlichen Willen Gottes ein Unterschied wäre, so eignet sich doch dieses Beispiel nicht, der Reformierten Meinung zu beweisen; weil es eine göttliche Versuchung bei Abraham war, als Gott ihm befahl seinen Sohn zu schlachten, wie ausdrücklich stehet, 1Mose 22. Die Versuchung Gottes aber ist allezeit zum Guten und rührt her aus einem väterlichen wohlgesinnten Herzen, wenngleich er sich äußerlich gleich hart stellet. Im Widerspruch dazu, nach der reformierten Meinung, stellt sich Gott zwar von außen gnädig und freundlich, im Herzen aber hegt er Hass und Zorn.

Antwort der Lutheraner (2). So kann auch nicht bewiesen werden, dass Gottes äußerlicher Befehl in dem Beispiel Abrahams anders war als sein innerlicher Wille. Denn dies war ja sein Wille, dass Abraham seinen Gehorsam sollte offenbar werden lassen, und bereit sein, Isaak zu schlachten; dies forderte Gott äußerlich von ihm, und dies verlangte er auch nach seinem wohlgefälligen Willen. Und man kann erkennen, dass Gott mit seinen Worten nicht bloß wollte, dass Abraham seinen Sohn Isaak schlachten sollte, sondern dass er ihn zum Opfer darbringen sollte; welches er auch getan hat, wie in Hebräer 11,17 geschrieben steht. Und gesetzt, der Befehl lautete schlechterdings: Du sollst deinen Sohn schlachten, so wäre doch diese Bedingung darunter zu verstehen: so viel an dir ist, und wo du nicht von einer höhern Hand verhindert wirst.

Zusammenfassend: Gott wollte des Vaters Gehorsam, nicht aber des Sohnes Blut haben; und hierin stimmte der äußerliche Befehl mit dem wohlgefälligen Willen Gottes überein.

III. Einwurf der Reformierten. Gott habe den Leuten zu Ninive den Untergang innerhalb 40 Tagen ankündigen lassen und habe es doch nicht erfüllt. Dies wirft auch Beza ein.

Antwort der Lutheraner. Gott drohte zwar Ninive mit dem Untergang, aber unter der Bedingung, dass sie sich nicht bekehren würde. Nachdem sie aber im Sack und in der Aschen Buße getan hat, was Wunder, hat Gott sie verschont. Und wer wollte sagen, dass Gottes äußerlicher Wille hier dem innerlichen entgegen gewesen.

IV. Einwurf der Reformierten. Gott gebot dem Pharao, dass er die Kinder Israel sollte ziehen lassen, ihm zu dienen. 2Mose 5,1 und Kap. 9,1. Jedoch spricht er daneben: Ich will Pharaos Herz verhärten, 2Mose 7,3 und das ist auch geschehen. 2Mose 10,27 kurzum: Gott hatte verboten: Dem Obersten in deinem Volk sollst du nicht fluchen, 2Mose 22,28. Hergegen, da Simei David seinem Könige fluchte, sprach David: Der Herr hat ihm gesagt, flucht David, 2Samuel 16,18; kurzum: Gott hat Jerusalem erwählt, dass alle Israeliten dahin kommen sollten, um ihren Gottesdienst allda zu verrichten, Psalm 122,4; doch als Jerobeam über die zehn Stämme König wurde, und das Volk von Jerusalem gen Dan und Bethel zu den goldenen Kälbern ging, da sprach der Herr, dass alles von ihm geschehen ist. 1Könige 11,31 u. 12,24.

1. Antwort der Lutheraner: Gottes ernstlicher Wille war, dass Pharao die Kinder Israel ziehen lassen sollte, und der äußerliche Befehl Gottes kam hier durchaus mit seinem heimlichen Willen überein, sonst hätte er nicht seinem Befehl die starken Drohungen angehängt und wegen Verachtung des Befehls so ernstlich gestraft. 2Mose 5,1; 8,1; 10, 3; 4,2. Denn wo Gott nach seinem wohlgefälligen Willen gewollt hätte, dass Pharao die Kinder Israel nicht ziehen lassen sollte, so hätte Pharao nicht dafür bestraft werden können, weil er das getan hat, was dem heiligen Gott wohlgefällig war. Allein muss man in der Geschichte des Pharao wohl ein doppeltes Dekret Gottes unterscheiden, davon das erste kommt von Gott als einem Gesetzgeber: Ich will, dass Pharao das Volk lasse, mit welchem innerlichen Ratschluss ja freilich der äußerliche Befehl übereinstimmt; das andere Dekret kommt von Gott als einem Richter: Wo er das Volk nicht ziehen lässt, will ich ihn verhärten; womit abermal das äußerliche Wort übereinstimmt. Und daher ist zwischen dem äußerlichen Wort und innerlichen Willen Gottes gar kein Streit oder keine Misshelligkeit.

2. Antwort der Lutheraner: Was des Simei Fluch gegen David angeht, geht aus 2Samuel 16,18 nicht hervor, dass Gott den Simei gereizt hat, seiner Obrigkeit zu fluchen, sondern dass er es ihm zugelassen habe. So auch in 1Könige 12,24, wo geschrieben steht, von dem Herrn sei es geschehen, dass die Stämme Israel wieder heimzogen, nicht aber, dass das Volk von Jerusalem nach Dan und Bethel zu den goldenen Kälbern geführt wurde.[7]

 

Anmerkung

Masius hat hier der Position der „Reformierten / Calvinisten“ die Sicht der „Lutheraner“ gegenübergestellt (siehe unten Fußnote 7). Ich bin kein Lutheraner, halte aber die Position der Lutheraner, wie sie hier dargestellt wird, für absolut biblisch. Wilfried Plock

 

Fußnoten

[1] voluntatem Signi et voluntatem Beneplaciti.

[2] voluntatem absconditan.

[3] voluntatem relevatam.

[4] Theodor Beza (1519-1605), französischer Calvinist.

[5] Wilhelm Bucanus (gest. 1603), schweizerisch-französischer Calvinist.

[6] Marcus Friedrich Wendelin (1584-1652), deutscher Calvinist.

[7] Hector Gottfried Masius, Kurzer Bericht von dem Unterschied der wahren evangelisch-lutherischen und der reformierten Lehre, Druck und Verlag von C. Bertelsmann, Gütersloh, 1880, S. 9-13. Der Text wurde leicht überarbeitet und gekürzt sowie an den heutigen Sprachgebrauch angepasst.

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