Fassung vom 17.01.2024

Dieser Artikel dient dem Zweck, über das Thema „Calvinismus“ zu informieren und zum Nachdenken anzuregen. Da sich diese Lehre auf das Verständnis des Wesens Gottes und dem Evangelium selbst auswirkt, wird der Leser ermutigt, seine eigene Meinung zu bilden, um zu einer biblisch fundierten Überzeugung zu gelangen.

 

Reformatorische Theologie ≠ Calvinismus

Reformatorische Theologie und Calvinismus sind voneinander zu unterscheiden. Die reformatorische Theologie als solche ist, breiter gefasst als der spezifische „Calvinismus,“ jedoch ist der Calvinismus ein Kernstück und fester Bestandteil der reformatorischen Theologie. Die anhaltende Kontroverse rund um den Calvinismus dreht sich hauptsächlich um folgende fünf Lehrauffassungen.

Die 5 Punkte des Calvinismus[1]

Es folgt eine Zusammenfassung der sogenannten 5 Punkte des Calvinismus:

  1. Totale Verdorbenheit des Menschen: Der Mensch ist aufgrund seiner sündhaften Natur dermaßen verdorben und von der Sünde versklavt, dass er sogar unfähig ist, dem Evangelium zu glauben. Bevor er glauben kann, muss er zuvor eine Wiedergeburt erleben.
  2. Bedingungslose Erwählung: Gott vorherbestimmt und erwählt souverän und bedingungslos bestimmte Menschen zur Errettung (inkl. Wiedergeburt) schon vor Grundlegung der Welt. Gott entscheidet also, wer gerettet wird (und wer nicht).
  3. Begrenzte Sühne: Jesus starb nur für diejenigen, die von Gott zur Errettung erwählt wurden. Für den nicht-erwählten Rest der Menschheit besteht somit keine Hoffnung auf Rettung.
  4. Unwiderstehliche Gnade: Diejenigen, die Gott zur Errettung erwählt hat, erhalten von Gott bei der Bekehrung eine besondere, unwiderstehliche Gnade, die garantiert zur Rettung bzw. Wiedergeburt führt. Der aus der Wiedergeburt resultierende Glaube ist wiederum ein göttliches Geschenk, das nur den Erwählten vorbehalten ist.
  5. Ausharren der Heiligen: Diejenigen, die von Gott erwählt und gerettet bzw. wiedergeboren wurden, werden garantiert bis zum Ende ihres Lebens im Glauben ausharren. Die Geretteten mögen zwar immer wieder in Sünde fallen, aber sie werden niemals endgültig vom Glauben abfallen. Durch ihr Ausharren erweisen sich die Geretteten letztendlich als solche, die das göttliche Geschenk des Glaubens erhalten haben. Wer nicht im Glauben bis zum Lebensende ausharrt, der hat dieses Geschenk des Glaubens tatsächlich nie erhalten, war nie wiedergeboren und gehörte von vornhinein nicht zu den Erwählten.

Diese fünf Punkte bauen aufeinander auf und sind für die meisten Calvinisten untrennbar. Weiter unten versuche ich zu erklären, wie diese 5 Punkte zusammenhängen und zusammenwirken.

Die Souveränität Gottes

Was dieses Lehrsystem umgürtet ist die Vorstellung eines Gottes der souverän über jedem Ereignis steht. Das bedeutet, dass Gott sowohl das Gute als auch das Böse lenkt, einschließlich des Sündenfalls, jeder einzelnen Sünde (selbst der schrecklichsten) und sogar des ewigen Verderbens der Menschen in der Hölle. Dieses Verständnis von Gottes Souveränität wird auch als Theologischer Determinismus bezeichnet, da es besagt, dass Gott als ultimativer Urheber alle Ereignisse in der Geschichte der Welt nach Seinem souveränen Willen[2] direkt oder indirekt verursacht.

Nicht jeder Calvinist bekennt sich zu dieser harten Form des Determinismus. Viele Calvinisten sagen, der freie Wille und die Souveränität Gottes harmonieren auf eine Art und Weise, die für den menschlichen Verstand nicht fassbar ist. Der sogenannte „freie“ Wille im Calvinismus ist jedoch ein von der totalen Verdorbenheit des Menschen beeinträchtigter, unter die Sünde versklavter Wille, der es dem Menschen unmöglich macht, positiv auf den Ruf des Evangeliums zu antworten.

Feine Unterschiede unter Calvinisten

Nicht alle Calvinisten würden diese fünf Punkte, wie oben beschrieben, als eine angemessene Zusammenfassung ihres Glaubens akzeptieren. Einige Calvinisten unterscheiden beispielsweise im zweiten Punkt zwischen der „einfachen“ und „doppelten“ Prädestination bzw. Vorherbestimmung,[3] während andere ihre Ablehnung des dritten Punktes betonen würden. Dennoch spiegelt sich die Essenz dieses Systems in Punkt 1 und einem deterministischen Gottesbild wider und hier sind sich die Calvinisten einig. Wenn sich der Mensch gemäß der calvinistischen Auffassung in einem solch verdorbenen Zustand befindet, ergeben sich die Punkte 2 bis 5 logisch und zwangsläufig.

Die Logik des Calvinismus

Man kann die logische Argumentationskette beim Calvinismus folgendermaßen beschreiben:

  1. Gott ist allmächtig und souverän; Er handelt und lässt geschehen, was Er will, vollkommen unabhängig von äußeren Umständen. Jedes Ereignis, egal ob gut oder böse, findet letztendlich seinen Ursprung im souveränen Willen und ewigen Ratschluss Gottes. In allem, was Gott tut, lenkt und führt, zielt Er darauf ab, sich selbst zu verherrlichen.
  2. In Seiner Souveränität hat Gott beschlossen, sündige Menschen zu erretten, jedoch nicht alle Menschen. Wenn es Gottes souveräner Wille gewesen wäre, dass alle gerettet werden, dann würde dies geschehen. Die Tatsache, dass dies nicht der Fall ist, spiegelt den souveränen Willen Gottes wider. Sowohl die Errettung als auch die Verdammnis der Menschen ist auf den souveränen Willen Gottes und Seinem Plan, sich durch Sein Handeln mit der Menschheit zu verherrlichen, zurückzuführen. Mit anderen Worten, diejenigen, die gerettet werden, erfahren diese Rettung, weil letztendlich Gott in Seinem ewigen Ratschluss zuvor festgelegt hat, dass sie gerettet werden sollen. Diejenigen hingegen, die nicht gerettet werden, erfahren ewige Verdammnis, weil letztendlich Gott in Seinem ewigen Ratschluss zuvor festgelegt hat, dass sie verloren gehen sollen.
  3. Folglich erwählt und vorherbestimmt Gott bestimmte Menschen zur Errettung und stellt somit ihre Rettung sicher, denn Sein Ratschluss kann von nichts und niemandem durchkreuzt werden. Die Grundlage für diese festgelegte Rettung der Erwählten stellt der Tod Christi dar, der für die Sünden dieser Erwählten und ausschließlich für ihre Sünden gestorben ist.
  4. Diese Auserwählten sind also von Ewigkeit her dazu vorherbestimmt, gerettet zu werden. Wenn Gott Seinen ewigen Ratschluss in der Gegenwart mit jeder einzelnen Person bei der individuellen Bekehrung umsetzt, geschieht dies unabhängig vom Willen oder der Zustimmung des Menschen. Da der Mensch in seinem gefallenen Zustand Gott nur ablehnen kann und nicht in der Lage ist, von sich aus zu glauben, schenkt Gott ihm notwendigerweise zuerst die Wiedergeburt, die ihn zum Glauben befähigt. Dieser göttliche Akt der Wiedergeburt führt dazu, dass der Mensch willig glaubt und Gott für das Geschenk der Rettung, Dankbarkeit und Liebe entgegenbringt. Sowohl die Wiedergeburt als auch der Glaube sind, somit Gaben Gottes, die nur den Erwählten zukommen.
  5. Da die Errettung der Auserwählten von Anfang an festgelegt ist, wird Gott sicherstellen, dass die Gläubigen niemals von Ihm bzw. vom Glauben abfallen, sondern bis zum Ende ihres Lebens im Glauben bleiben werden. Könnte ein wiedergeborener Mensch vom Glauben abfallen, dann würde er seine Rettung bzw. sein Heil verlieren und folglich den ewigen Ratschluss Gottes zunichtemachen – aber das ist undenkbar. Das bedeutet, alle Menschen, die vom Glauben endgültig abgefallen sind, waren tatsächlich nie wiedergeboren und haben nie wirklich geglaubt. Einerseits müssen Gläubige im Glauben ausharren, um sich als wahrhaft Gläubige herauszustellen. Andererseits stellt Gott sicher, dass die wahrhaft Gläubigen bis zum Schluss ausharren werden.

Zusammenfassung

Vereinfacht könnte man das Ganze wie folgt zusammenfassen: Weil der Sünder sich nicht für Gott entscheiden kann, entscheidet sich Gott für ihn und rettet eine bestimmte Anzahl von Menschen. Dabei verherrlicht Gott sich durch die Rettung des erwählten als auch durch die Verurteilung des verworfenen Sünders. Somit verherrlicht Gott sich in Seiner Gnade als auch in Seiner Gerechtigkeit.

Calvinisten besser verstehen

Auch wenn Calvinismus logisch erscheint, beruft sich der Calvinist hauptsächlich auf die Bibel und nicht in erster Linie auf die Logik ihrer Theologie. Er ist davon überzeugt, dass der Calvinismus die Lehre der Bibel abbildet. Der Calvinist betrachtet seine Theologie als „Gott-zentriert,“ also als eine Lehre, die Gott in den Mittelpunkt stellt und groß macht. Könnte der Mensch selbst entscheiden, ob er gerettet wird, dann würde für den Calvinisten der Fokus auf den Menschen fallen und Gott würde in den Hintergrund treten. Diese fromme Denkweise festigt den Calvinisten zusätzlich, an diesen Lehren festzuhalten – diese Lehren zu leugnen, käme dem Versuch gleich, Gott die Ehre für die Errettung zu rauben.

Auswirkungen auf das Evangelium

Diese Lehren können bedeutende Auswirkungen auf den Glauben und die Praxis eines Christen haben und beeinflussen maßgeblich die Art und Weise, wie die gesamte Bibel gelesen und verstanden wird. Besonders erheblich ist ihr Einfluss auf das Verständnis des Evangeliums.

Das Evangelium, kurz gesagt, ist die Gute Nachricht, dass Jesus Christus, der Sohn Gottes, für die Sünden aller Menschen gestorben und auferstanden ist. Dadurch erhält jeder Mensch die Möglichkeit, gerettet zu werden und ewiges Leben zu empfangen, indem er auf den Ruf des Evangeliums mit persönlichem Glauben und Vertrauen in Christus allein antwortet (1. Korinther 15,3-4; Johannes 3,16).

Der Calvinismus lehrt jedoch, dass Jesus nicht für alle Menschen gestorben ist und nicht alle gerettet werden können. Außerdem wird betont, dass niemand überhaupt glauben kann, es sei denn, er wird zuvor wiedergeboren. Eine Verurteilung des Sünders aufgrund seines Unglaubens erscheint demzufolge ungerecht. Aufgrund der Auffassung, dass das Ausharren der Heiligen ein Kennzeichen der Erwählten ist, kann zudem kein Christ wirklich sicher sein, ob er am Ende in den Himmel kommen wird. Dies liegt daran, dass kein Christ letztendlich wissen kann, 1) ob er zu den Erwählten gehört, 2) ob Christus demnach auch für seine Sünde gestorben ist und 3) ob die „Echtheit“ seines Glaubens durch ein ausharrendes Leben als Christ bestätigt wird oder sich am Ende als unecht erweist.

Nicht zuletzt hat der Calvinismus einen starken Einfluss auf das Verständnis der persönlichen Evangelisation. Wenn Christus nicht für alle Menschen gestorben ist, dann stellt sich die Frage, an was der Sünder glauben soll, um gerettet zu werden. Wenn der Ungläubige nicht wissen kann, dass Jesus auch für ihn persönlich starb, dann kann er das, was Jesus getan hat, nicht für sich persönlich im Glauben in Anspruch nehmen. Somit geht letzten Endes die rettende Botschaft verloren, wenn man den Calvinismus konsequent in die Praxis der Evangelisation einfließen lässt.

Den Calvinismus auf den biblischen Prüfstand stellen

Um den Calvinismus biblisch begründen zu können, müssen mindestens folgende Lehraussagen der Bibel entnommen werden können:

  • Gott führt und lenkt jedes Ereignis, egal ob gut oder böse.
  • Der sündige Mensch ist dermaßen verdorben, dass er nicht in der Lage ist, dem Evangelium zu glauben.
  • Die Wiedergeburt geht dem persönlichen Glauben voraus.
  • Gott vorherbestimmt und erwählt bestimmte Menschen vor Grundlegung der Welt, um gerettet zu werden.
  • Jesus Christus starb nur für die Sünden der Erwählten.
  • Gott bringt Menschen mit unwiderstehlicher Kraft dazu, dem Evangelium zu glauben.
  • Glaube und Buße sind Gnadengaben Gottes, die Er nur den Erwählten gewährt.
  • Echte Gläubige, können nicht endgültig vom Glauben abfallen.

 

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Lasst uns alles prüfen (1. Thessalonicher 5,21) und edel gesinnt sein, wie die Beröer, die täglich in der Schrift forschten, um zu sehen „ob dies sich so verhielte“ (Apostelgeschichte 17,11). Amen.

[1] Da sich der Autor dieses Artikels nicht dem Calvinismus verschreibt, könnte es sein, dass die folgenden Beschreibungen eine gewisse Voreingenommenheit preisgeben. Deshalb sei zum Vergleich auf folgenden Link verwiesen, der eine Erklärung zu den 5 Punkten von einer autoritativen calvinistischen Quelle enthält: https://www.monergism.com/topics/doctrines-grace/five-points-calvinism
Für eine deutsche Übersetzung siehe: https://e.pcloud.link/publink/show?code=XZ7mbeZimGp1ObYCufwfJpknErRtSmf62z7

[2] Calvinisten unterscheiden zwischen dem geheimen Willen und dem geoffenbarten Willen Gottes. Der geoffenbarte Wille bezieht sich auf Gottes Gebote und Verbote, die in der Bibel offenbart werden (dazu gehört auch der Aufruf zu Buße und Glauben). Der geheime Wille stellt den verborgenen Ratschluss Gottes dar, der sich in allem manifestiert, was geschieht. Die Calvinisten glauben, dass Menschen trotz der allgegenwärtigen Wirkung von Gottes Willen moralisch verantwortlich für ihre Handlungen sind. Das heißt, Gott kann den Ungläubigen für seinen Unglauben verurteilen, obwohl Gott ihm die Gnadengabe des rettenden Glaubens verwehrt hat.

[3] Im Calvinismus bezieht sich die einfache Prädestination auf die Lehre, dass Gott im Voraus bestimmt, wer errettet wird, während die doppelte Prädestination besagt, dass Gott auch im Voraus bestimmt, wer verloren geht. Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass die einfache Prädestination nur die Erwählung betrifft, während die doppelte Prädestination sowohl die Erwählung als auch die Verwerfung umfasst. Der Calvinist betont hierbei in der Regel, dass es nur gerecht sei, den Sünder zu verwerfen und dass Gott ihm keine rettende Gnade schuldig ist. Mit dieser Erklärung wird das Problem, dass der theologische Determinismus aufwirft, jedoch nicht gelöst.