Illustriert am Beispiel der mennonitischen Altkolonisten in Bolivien

Daniel Neufeld, Bolivien (10.06.2023)

Vorbemerkung

Dieser Vortrag wurde von mir in ähnlichem Wortlaut auf Plattdeutsch in einer Reihe, die sich mit dem Thema Taufe beschäftigt, gehalten. In Windeseile hat er sich dann überallhin verbreitet und es kam die Anfrage, ob ich diesen Vortrag nicht auch in der deutschen Sprache halten könnte. Da die Mennoniten Gemeinden Deutschlands in Bolivien, Mexiko und Belize arbeiten und viel in die dortigen Gemeinden investiert wird, schien mir dieser Vorschlag nicht abwegig. Es fließt viel Geld in die eine Richtung und weniger Information in die andere. Dieser Zustand ist nicht in Ordnung und liegt einerseits an das oberflächliche Interesse der Gemeindemitglieder und andererseits an fehlende Offenheit der Missionare über die alltäglichen Kämpfe zu berichten.

An dieser Stelle muss ich etwas zu meiner Person sagen. Mein Name ist Daniel und ich bin der älteste Sohn von Viktor Neufeld. Wir wurden am 08. Januar 2006 nach Bolivien ausgesandt. Damals war ich gerade 16. Meine Eltern waren mit der Gemeindebauarbeit in einer hoffnungslos gespaltenen Versammlung betraut worden. Diese Arbeit haben sie sechs Jahre lang unter Gottes Leitung getan. Die Erfolge sprechen für sich. Im selben Jahr ließ ich mich taufen und blieb zwölfeinhalb Jahre Mitglied der Gemeinde. Schon bald durfte ich in der Jugend und in der Sonntagschule mitarbeiten. Beides trug dazu bei, dass ich geistlich reifen konnte. Als wir die Zweigstelle eröffneten, wurde mir die Jungscharleitung der alten Stelle übergeben.

Was mich jedoch mehr als alles prägte, waren die Erfahrungen, die ich als Lehrer machte. Hier erfährt man viel über die Prägung der Altkolonisten. Die Gemeinde in der Kolonie Chihuahua besteht quasi aus ausgestiegenen Altkolonisten und der ersten Generation danach. Durch zahlreiche Einsätze, die wir auf eigene Faust unternommen haben und noch immer unternehmen, durch die Leute die wir dort kennengelernt haben und durch viele Gespräche mit Freunden und Verwandten (meine Schwiegereltern haben bis zur Taufe dort gelebt), habe ich einen relativ tiefen Einblick in die Art des Lebens und des Denkens bekommen ­– nicht destotrotz bleibe ich ein Lernender.

Für ein Jahr durfte ich dann auch als Hilfsprediger in der Eben-Ezer Gemeinde dienen und mehrere Jahre auch als Bibelschullehrer. Daher habe ich auch eine klare Vorstellung von der Art und Weise, wie die Gemeinde geleitet wird. Als Sohn eines Missionars habe ich auch viel von der Zusammenarbeit meines Vaters mitbekommen und Gespräche mit einige Ältesten geführt. Diese Dinge führe ich an, um deutlich zu machen, dass alles was ich hier sage, nicht aus der Luft gegriffen ist.

Ein letzter Gedanke, bevor wir uns der Problematik zuwenden: Es gibt Menschen, die in der Altkolonie zum Glauben gekommen sind und die die Taufe nicht über sich ergehen ließen, sondern diesen Schritt des Gehorsams bewusst taten. Wenn ich also von der altkolonistischen Taufe spreche, dann geht es um die Regel und nicht den einzelnen Ausnahmen. Dieses Thema ließe sich teilweise auch auf die Mitläufer in jeder Gemeinde anwenden, doch in diesem Fall soll es speziell die altkolonistische Taufe sein.

Eine fruchtbare Evangelisation im Jahr 2013

Es war irgendwann im August oder September im Jahr 2013. An einem ruhigen und gemütlichen Nachmittag trafen wir uns als Kirchenrat der ersten Stelle zur Besprechung. Die gesegnete Evangelisation mit Beat Abry (Schweiz) lag hinter uns und wir blickten zuversichtliche in die Zukunft. Wir arbeiteten die Tagesordnung wie gewöhnlich ab, bis wir an einen Punkt kamen, der die Mennoniten weltweit aufwühlen würde. Damals ahnten wir die Tragweite dieser Besprechung nicht im Geringsten. Es ging um die Gläubigentaufe.

Bei der Evangelisation mit Wilhelm Pahls im Jahr 2010, waren eine ganze Reihe Erwachsener zum Glauben gekommen. Seitdem war das Verlangen zur Gläubigentaufe in den Geschwistern stetig gewachsen. Für Jugendliche, die zum Glauben gekommen sind, ist die Taufe kein Thema. Im Gegenteil, sie werden zu diesem Schritt ermutigt. Aber für die Leute, die sich in der Altkolonie haben taufen lassen, war die Glaubenstaufe unerreichbar. Die Altkolonisten halten eine zweite Taufe für die Lästerung des Heiligen Geistes, den endgültige Abfall vom Glauben. Sagt die Bibel denn nicht: „ein Herr, ein Glaube, eine Taufe“[1]? Wer würde sich da wagen, sich ein zweites Mal taufen zu lassen?

Ich hatte mich mit dieser Thematik noch nie zuvor beschäftig, weil der Kampf um die Gläubigentaufe im Verborgenen tobte. Unser Älteste klärte uns in der besagten Besprechung über die steigende Nachfrage zur Wiedertaufe auf und nahm dazu Stellung. Er fände, dass die Wiedertaufe nicht heilsnotwendig sei und nur unnötige Spannungen in der Gemeinde hervorrufen würde. Um ein friedliches Gemeindeleben zu garantieren, sei er gegen einen solchen Schritt. Nach einer kurzen Diskussion kam es zur Abstimmung. Der Älteste hatte erwartete, dass wir alle gegen die Gläubigentaufe stimmen würde, einigen kam das Ganze viel zu schnell und übereilt vor. Wir waren größtenteils total unvorbereitet und die Sicht des Ältesten hatte von der Bibel her keine triftige Begründung. Darum plädierte ich auf ein gründliches Bibelstudium, bevor wir diese Entscheidung treffen würden. Doch unser Älteste wollte einen kurzen Prozess machen. Um die vielbeschworene Einheit der Gläubigen zu wahren, sollten die jungen Gemeinden nun ebenfalls Stellung zu diesem Thema beziehen. Da Chihuahua als Vorbildgemeinde angesehen wird, gehorchte man unverzüglich. So nahm das Unheil seinen Lauf. Aus einer Frage, die uns in unserer Gemeinde bewegte wurde eine, die die gesamte Mennonitenwelt in Aufruhr versetzte.

Das Verständnis der Taufe in der Altkolonie

Bei alldem Streit, ob eine Wiedertaufe notwendig sei oder nicht, geht es im Grunde genommen zuerst einmal nicht um das biblische Verständnis der Taufe. In Folgendem sind sich alle einig: nur der an Jesus gläubig gewordene ist zur Taufe berechtigt. Da ein sehr hoher Prozentsatz der Gemeindemitglieder in den Altkolonien getauft wurde und heutzutage noch eine beträchtliche Anzahl Menschen aus den Altkolonien zur Erkenntnis der Wahrheit kommen, ist die Frage der Anwendung äußerst brisant. Was jedoch beim Diskutieren untergegangen ist, ist die berechtigte Frage: Kann die Taufe der Altkolonisten von der Bibel aus überhaupt als gültige Taufe betrachtet werden? Um dieser Angelegenheit auf den Grund zu gehen, wollen wir uns jetzt ganz konkret mit ihr auseinandersetzen.

Der Glaube ist für die altkolonistische Taufe nicht notwendig

Zur Taufe ist – aus Sicht der Bibel – der rettende Glaube notwendig[2]. Bei den Altkolonisten ist dies jedoch nicht der Fall. Hier sind, wie wir sehen werden, andere Kriterien von großer Bedeutung. In Johannes 16,8.9 beschreibt Jesus das Wirken des Heiligen Geistes, an die ungläubige Welt. Es besteht darin, der Welt die Augen über die Sünde, der Gerechtigkeit und dem Gericht zu öffnen. Die Erkenntnis dieser drei Wahrheiten sind grundlegend für den rettenden Glauben. Was jedoch verstehen die Altkolonisten unter Sünde, Gerechtigkeit und Gericht?

Kommen wir zur ersten. Der Heilige Geist macht den Menschen auf die Sünde des Unglaubens aufmerksam. Es werden hier nicht die einzelnen Vergehen aufgereiht, die jeder sündige Mensch in seinem Leben begeht, nein, es geht um die Haltung des Menschen zu Gott: er steht im Unglauben. Das bedeutet, dass der Mensch von Gott unabhängig lebt (gottlos). Jeder Mensch wird in der Unabhängigkeit von Gott und in der Sklaverei der Sünde geboren. Der Heilige Geist öffnet dem Menschen die Augen über diesen Zustand, nicht über die einzelnen Taten (hier leistet das Gewissen in der Regel treu seine Dienste).  Während Gott dem Täufling die Augen über seine Verlorenheit öffnen möchte, fordert die Gemeinde der Altkolonie das Einhalten ihrer selbsterdachten Geboten. Natürlich werden Gottes Gebote auch berücksichtigt und ein Verstoß gegen diese auch als Sünde bezeichnet, aber die selbsterfundenen Regeln sind viel wichtiger und ein Verstoß gegen diese viel schlimmer.  Was Sünden sind, wird vom Lehrdienst und der Brüderversammlung definiert. Zu diesen Sünden gehören unter anderem Handys, Kameras, Radios, Traktoren mit Gummireifen oder das Tragen von weltlicher Kleidung. Die Sicht der Bibel spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle. Ein Trinker, Hurer oder gar ein Mörder ist in ihren Augen bei weitem nicht so gefährlich, wie jemand der die Bibel liest und die altkolonistische Weltanschauung infrage stellt. Schon von Kindesbeinen an wird ihnen folgendes Bibelwort, das völlig aus dem Zusammenhang gerissen wurde, ins Gehirn gebrannt: „Bleibe bei dem, was du gelernt hast!“[3]. Anders ausgedrückt: Die Sünde, die den Menschen, ihrer Ansicht nach, von Gott trennt, ist nicht der Unglaube, sondern die einzelnen Regelverstöße gegen die Tradition.

Zweitens: die Gerechtigkeit, weil Jesus zum Vater gegangen ist. Die Altkolonisten können mit dem Herrn Jesus Christus absolut nichts anfangen. Um Sündenvergebung zu erlangen, die für die Taufe zwingend notwendig ist, machen sich die Täuflinge auf den Weg und bitten bei all den Leuten, denen sie irgendwie unrecht getan haben, um Vergebung. Danach geht es zum Ältesten, dem alle Sünden gebeichtet werden, auch die geheimsten. Nachdem alles ausgekramt wurde, betrachtet der Älteste das Leben als erneuert und den Jugendlichen als der Taufe würdig. Kein Hinweis auf Jesus, keine Anleitung zur Buße, nicht einmal ein Gebet kommt von dem Ältesten. Viele gehen erleichtert davon. Der eine freut sich, dass der Hochzeit nichts mehr im Wege steht und der andere meint von seiner Sündenlast endlich befreit zu sein. Andere sind nach einem solchen Gespräch niedergeschlagen, weil sie keine Gewissheit haben, ob ihre Sünden denn endgültig vergeben worden sind. Und wo ist Jesus? Jesus kam ihrer Meinung nach nicht auf diese Welt, um uns zu erlösen, sondern um uns zu zeigen, wie wir uns selbst erlösen können. Er ist ihr absolutes Vorbild, nicht weniger, aber auch nicht mehr. Jesus ist nicht der Mittler zwischen Gott und Mensch, das ist der Älteste. Ihm werden die Sünden bekannt und er sagt dem Täufling seine Vergebung zu.

Der Heilige Geist öffnet – drittens – die Augen über das Gericht. Die Altkolonisten sprechen meist von „jenem Tag“, sie meinen das Jüngste Gericht. Hier wird Gott, ihrer Meinung nach, die guten und die bösen Taten gegeneinander auswiegen. Menschen, die sich sehr bemüht haben, Gutes zu tun, dürfen bangend auf seine Gnade hoffen. Wer aber nicht bei dem geblieben ist, was man gelehrt worden war, auf den wartet mit Sicherheit die Hölle. Ihrer Meinung nach befindet sich die enge Pforte vor dem Himmel und nicht in diesem Leben. Sie meinen erst den schmalen Weg gehen zu müssen und dann hoffentlich an der engen Pforte, die zum ewigen Leben eingeht, anzukommen. Jesus spricht hier jedoch von dem Gericht, dass über den Teufel ergangen ist. Ihm wurde die Macht des Todes genommen, das ist die Sünde. Solange die Schuld der Welt nicht gesühnt war, hatte der Teufel uns in seiner Gewalt. Aber jetzt, wo Jesus für uns den Tod des Sünders gestorben und auferstanden ist, kann der Teufel niemanden verklagen. Deswegen kommt jeder, der dies annimmt, zur vollständigen Heilsgewissheit! „Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist es, der da rechtfertigt!“[4]. Die Altkolonisten jedoch schaffen mit Furcht und Zittern, dass sie selig werden[5]. Wer von sich behauptet, gerettet zu sein, der ist es erst recht nicht – so die gängige Annahme in der Altkolonie.

Zusammengefasst: Der Glaube, der in den Altkolonien geprägt wird, hat mit dem Glauben der Bibel nichts zu tun. Es ist der Glaube des Teufels, den Jakobus prägnant so auf den Punkt bringt: „Du glaubst, dass es nur einen Gott gibt? Du tust wohl daran! Auch die Dämonen glauben es — und zittern!“[6]. Sünde wird nicht das Leben ohne Gott genannt, sondern der Verstoß gegen selbstgemachte Regeln. Gerechtigkeit ist bei ihnen nicht die Rechtfertigung aus Gnaden, sondern das Ordnen des Lebens und Bekennen der Sünden beim Ältesten, der seine Vergebung ausspricht. Das Gericht, dass über den Fürsten der Welt ergangen ist, ist ihnen unbekannt, darum kennen sie keine Heilsgewissheit.

Die altkolonistische Taufe ist nicht die Trennung von der Welt

Nach der Ansicht der Altkolonisten vollzieht sich die Trennung von der Welt nicht mit der Taufe, sondern mit der Schaffung einer Kolonie, die sich von dem Rest der Welt isoliert. Die Altkolonisten definieren die Worte Welt und Gemeinde vor allem geographisch. Ihrer Meinung nach kann auf der Kolonie, die von ihnen auch als Gemeinde bezeichnet wird, nur ein Glaube praktiziert werden. Was auf dem Gebiet der Kolonie geschieht, passiert somit gleichzeitig in der Gemeinde. Jeder, der als Altkolonist geboren wird, ist automatisch von der Welt getrennt und gehört zum Volk Gottes.

Die Bibel lehrt uns jedoch eine ganz andere Art der Trennung von der Welt. Petrus forderte seine Zuhörer nach der Pfingstpredigt auf: „Tut Buße, und jeder von euch lasse sich taufen auf den Namen Jesu Christi zur Vergebung der Sünden; so werdet ihr die Gabe des Heiligen Geistes empfangen.“ Und „Lasst euch retten aus diesem verkehrten Geschlecht!“[7]. Das Bedeutet nicht weniger, als dass sich ein Mensch ganz bewusst von dem Leben, das er bis zur Wiedergeburt geführt hatte, trennt und auf religiöser Ebene seinem alten Glauben abschwört. Die Trennung von der Welt ist nicht ein Umzug in ein christliches Territorium, sondern ein bewusstes Trennen von dem alten Lebensstil. Sie ist nicht geographischer, sondern geistlicher Natur. Denn Jesus sagt in seinem hohepriesterlichen Gebet: „Ich bitte nicht, dass du sie aus der Welt nimmst, sondern dass du sie bewahrst vor dem Bösen.“[8]. Außerdem bezeichnet Jesus seine Jünger als Licht und Salz der Welt. Dieses Licht soll nicht unter einem Scheffel oder unter ein Bett getan werden, sondern auf einen Leuchter, damit es von allen gesehen wird. Und das Salz hat keine Bedeutung, wenn es seine Würzkraft verloren hat. Wie Salz in der Speise so sollen die Gläubigen in der Welt sein.[9] Wer sich räumlich von der Welt trennt, kann weder Salz noch Licht in ihr sein. Die Schreiber des Neuen Testaments gebrauchen das Wort Ekklesia, um die Versammlung der Gläubigen zu bezeichnen. Dieses Wort hatte ursprünglich einen rein gesellschaftlichen Charakter. Wenn im antiken Athen die Ratsversammlung einberufen wurde, machte ein Herold diese lautstark in den Straßen bekannt. Alle hörten diesen Ruf, aber nur die Vollbürger gingen hin. Sie waren die Ekklesia, „die Herausgerufenen“. Räumlich waren sie von den anderen Bewohnern der Stadt nicht getrennt, aber dem Stand nach.

Wegen der nichtbiblischen Sicht der Altkolonisten bezüglich des Verständnisses über die Trennung von der Welt, verschiebt sich auch die gesellschaftliche Bedeutung der Taufe. War die Taufe früher ein äußeres Zeichen dafür, dass man mit der Welt abgeschlossen hatte, so ist sie heute in den Altkolonien notwendig, um in der Gesellschaft als erwachsenes Mitglied anerkannt zu werden. Ohne Taufe ist Heirat in der Altkolonie undenkbar. Als Beleg dafür, dass Heirat und Taufe in einem Zusammenhang gebracht worden sind, führe ich hier die zweite Tauffrage der Altkolonisten an:

Fragen wir euch, ob ihr freie Personen seid, angehend der ehelichen Verlobung? – „JA!“

Etwas überspitzt ausgedrückt: Der Geschlechtstrieb der jungen Erwachsenen wird dazu ausgenutzt, sich der Gemeindeordnung zu unterwerfen. Würde man einen Altkolonisten nach dem Grund seiner Taufe fragen, würde er mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit die Heirat anführen. Diesen Umstand gilt es sich zu verinnerlichen.

Diese Verschiebung hat jedoch noch andere Folgen. Nach Auffassung der Altkolonisten besitzt der Älteste die Schlüssel zur Tür des Himmels. Wer sich getauft hat, kann von dem Ältesten ausgeschlossen werden und wer ausgeschlossen ist, der geht in diesem Zustand ganz sicher in die Hölle. Darum haben die Jugendlichen es auch nicht eilig mit der Taufe. Sie toben sich lieber in der Gosse aus. Alkohol, Mädels, laute Musik – und in zunehmenden Maße Pornos – gehören wie selbstverständlich dazu. Wer die altkolonistische Jugend erlebt hat, wird bestätigen können, dass sie der weltlichen Jugend in nichts nachsteht. Möchte jemand heiraten und ein normales Leben beginnen, hält er sich ab Neujahr von der Gosse fern. Nach außen sieht das wie eine Trennung von der Welt aus, doch in Wirklichkeit beginnt bei den meisten ein Leben in purer Heuchelei.  Leben geht nach der Taufe oft genauso oder noch schlimmer weiter, nur muss es vor dem Ältesten verheimlicht werden. So versetzt die Taufe den Altkolonisten nicht nur in den Stand eines Erwachsenen, sondern macht ihn dem Gemeindevorstand gefügig. Die erste Frage an die Täuflinge lautet, die sie vor ihrer Taufe und in Gegenwart der ganzen Gemeinde beantworten müssen:

Fragen wir euch, ob ihr auch etwas wieder die vorgetragenen Glaubensartikel einzuwenden habt, in allen Stücken mit der Gemeine einig seid? – „JA!“

Und weiter heißt es in der dritten Frage:

Fragen wir euch, ob ihr den Glauben, so euch aus Gottes Wort vorgetragen ist, wovon Jesus Christus der Eckstein ist, so auch dessen Geist und Lebensworte alles muss gegründet sein, mit der Gemeine in Liebe, Friede und Einigkeit annehmen wollt, die Tage eures Lebens zu beleben im Gehorsam gegen Gott und der Gemeine, in Heiligkeit und Gerechtigkeit, die vor ihm gefällig ist, und darauf die Taufe begehret? – „JA!“

Ab dem Akt der Taufe gilt es nun, der Gemeinde lebenslang die Treue zu halten, ohne sie im Geringsten zu hinterfragen. Wenn man sich etwas erlauben möchte, dass den althergebrachten Satzungen widerspricht, gilt es dies möglichst im Geheimen zu tun. An diesem Verhaltensmuster wird deutlich, dass sie sich nicht vor ihrem eigenen Gewissen verantworten, sondern nach dem Prinzip leben: man darf alles, man darf sich nur nicht erwischen lassen. Wird dann tatsächlich jemand ertappt oder verraten (vielleicht besitzt er ein Handy oder arbeitet für einen Einheimischen), dann kommen Leute aus dem Gemeindevorstand und laden ihn zum berüchtigten Donnerstag ein – der Tag der Gemeindezucht. Hier wird ihm unter Androhung des Kirchenbannes (der Hölle) die Gelegenheit zur Reue geboten. Selbst die härtesten unter ihnen bekommen weiche Knie. Halten sie dem Druck jedoch Stand, dann müssen sie am Sonntag nach dem Gottesdienst vor der Gemeinde erscheinen und werden in der Regel ausgeschlossen. Ab sofort gilt nun die Meidung. Man wird wie Luft behandelt. Wenn der Ehepartner Mitglied der Gemeinde bleibt, wird von ihm verlangt auf den ehelichen Umgang zu verzichten. Sie dürfen nicht kaufen oder verkaufen und wenn sie bis jetzt Wasser vom Nachbarn bekamen, wird dies nun auch abgestellt. Die Kinder müssen dem Unterricht fernbleiben und, und, und. Die Wucht des Taufversprechens trifft sie in vollem Umfang. Taufe bedeutet also nicht Trennung (im Sinne Befreiung) von der Welt, sondern der Antritt einer Geiselhaft in den Klauen eines sinn- und skrupellosen Systems.

Die Taufe der Altkolonisten hat mit Jesus nichts zu tun

„Oder wisst ihr nicht, dass wir alle, die wir getauft sind, in seinen Tod getauft sind? Wir sind also mit ihm begraben worden durch die Taufe in den Tod, damit, gleichwie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters aus den Toten auferweckt worden ist, so auch wir in einem neuen Leben wandeln. Denn wenn wir mit ihm einsgemacht und ihm gleich geworden sind in seinem Tod, so werden wir ihm auch in der Auferstehung gleich sein; wir wissen ja dieses, dass unser alter Mensch mitgekreuzigt worden ist, damit der Leib der Sünde außer Wirksamkeit gesetzt sei, sodass wir der Sünde nicht mehr dienen; denn wer gestorben ist, der ist von der Sünde freigesprochen.“, Römer 6,3-7.

Wir haben die Christologie der Altkolonisten schon etwas betrachtet und festgestellt, dass Jesus – ihrer Meinung nach – nicht auf die Welt kam, um sie zu erlösen, sondern um zeigen, wie man sich selbst erlösen kann. Das althergebrachte Denken, der Mensch müsse seine bösen Taten durch gute büßen, ist Dreh- und Angelpunkt ihrer selbsterdachten Rechtfertigung. Gnade, so hofft man, wird am Tag des Gerichts denen zuteil, die mit großem Fleiß daran gearbeitet haben rechtschaffene Menschen zu sein. Es ist kurios, wie die Nachkommen der Wiedertäufer in den Spuren ihrer einstigen Verfolger (die der Römischen Kirche) stapfen. Noch einmal frage ich: Wo ist Jesus?

An dieser Stelle würde ich dem verehrten Leser gern zwei Bilder zeigen. Das erste würde das Gesicht eines Altkolonisten ohne Jesus zeigen und das zweite, mit Jesus. Der Unterschied ist so gewaltig, dass man sich die Worte dazu sparen kann. Ohne Jesus ist das Gesicht kalt und leer. Man kann in den Augen entweder Arroganz oder Unsicherheit lesen, aber keinen Frieden. Da gibt es die Guten, die meinen allem nachzukommen, was von ihnen gefordert wird und es gibt da die Anderen, die um das Heil ihrer Seele bangen. Sobald aber einer von ihnen Jesus kennenlernt, weicht alle Angst, weil die Schuld, die schwer auf dem Gewissen lastete, vergeben ist und damit der Himmel offensteht. Paulus sagt nämlich:

„Denn wenn wir mit ihm einsgemacht und ihm gleich geworden sind in seinem Tod, so werden wir ihm auch in der Auferstehung gleich sein.“

Hier strahlt die lebendige Hoffnung, die wir als Kinder Gottes in unseren Herzen tragen und die in dem Erlösungswerk auf Golgatha verankert ist so schön hervor. Ein Altkolonist, der das erfahren hat, verändert sein Aussehen. Von anderen wird einen solcher Menschen als „verdreht“ (damit meinen sie „durchgeknallt, verrückt, gestört“) bezeichnet und verfolgt. Bleiben sie allein, scheint ein Umzug unausweichlich.

Wie kommt es, dass Menschen, die auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes getauft sind, das Kreuz derart hassen?

Lassen Sie mich den oben genannten Vers in aller Ruhe darlegen. Paulus spricht von der Taufe wie vom Tod. Was meint er damit?

Allein der Tod Jesu genügt der Gerechtigkeit, die vor Gott gilt. Das war den Juden ein Ärgernis und das ist es den Altkolonisten auch.

Auch wir müssen sterben. Für den Selbstgerechten bedeutet es, dass er sein Lebenswerk für Dreck erachte, damit er Jesus gewinnen kann[10] und für einen Gottlosen, dass er jedes Recht auf Selbstbestimmung verliert[11].

Wenn also das Sterben Jesu seine zentrale Bedeutung verloren hat und die eigene Gerechtigkeit gepriesen wird, wo bleibt die Gleichförmigkeit der Taufe mit dem Tod Jesu? Im Grunde ist die Taufe der Altkolonisten das Versprechen eines Menschen an Gott und die Gemeinde sich selbst zu erlösen. Die einzige Chance gerettet zu werden ist die: Bleibe bei dem was du gelernt hast!

Kein Wunder, dass die Hoffnung auf die Auferstehung der Gläubigen verlorengegangen ist. Die Altkolonisten kennen zwar das Endgericht, wissen aber nichts von der Wiederkunft Jesu.

Paulus sagt weiter:

„Wir sind also mit ihm begraben worden durch die Taufe in den Tod, damit, gleichwie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters aus den Toten auferweckt worden ist, so auch wir in einem neuen Leben wandeln.“

Auch für die Altkolonisten beginnt mit der Taufe ein neuer Lebensabschnitt. Die Gemeinde möchte eine Veränderung des – bis dahin – zügellosen Lebens sehen. Die Kunst besteht nicht darin anders zu sein, sondern anders sein zu scheinen. Wie sollte auch jemand, der nicht von Neuem geboren ist, ein geheiligtes Leben führen? Es kann nur vorgetäuscht werden. Darum tun sich auch die Abgründe der Heuchler erst auf dem Sterbebett wirklich auf. Es ist in den aller meisten Fällen ein Grauen, was an den Tag kommt, wenn ein Sterbender dem Ältesten beichtet. Das Papier würde rot werden, wenn man die sexuellen Vergehen auflisten würde. Da ist von dem klassischen Ehebruch, über jahrelange Affären bis hin zur Sodomie alles dabei – vom Missbrauch der eigenen Töchter ganz zu schweigen. Auch zwischenmenschliche Probleme kommen an den Tag – von Verbitterung und Hass bis hin zum Mord. Die altkolonistische Taufe zeigt nicht im Geringsten, dass der Mensch sein Leben dem Herrn Jesus unterordnet hat.

Paulus fährt fort:

„…wir wissen ja dieses, dass unser alter Mensch mitgekreuzigt worden ist, damit der Leib der Sünde außer Wirksamkeit gesetzt sei, sodass wir der Sünde nicht mehr dienen; denn wer gestorben ist, der ist von der Sünde freigesprochen.“

In Anbetracht dieser Bibelstelle und der altkolonistischen Auffassung der Tauflehre muss es einem die Sprache verschlagen. Sind die Altkolonisten frei von der Sünde? Nein, weder ihr Gewissen noch ihr Wandel könnte das bestätigen. Von den Grundsätzen des Evangeliums ist die Taufe der Altkolonisten weit entfernt. Sie hat nichts mit dem Erlösungswerk des Sohnes Gottes zu tun und kann von einer Wiedergeburt nicht Zeugnis ablegen.

Übrigens bezeichnen die Altkolonisten die Taufe auch als Wiedergeburt. Gemeint ist, wie oben schon ausgeführt, der klägliche Versuch einer Selbsterlösung.

Einwände

Nach der ausführlichen Betrachtung der Thematik möchte ich hier die gängigen Einwände –vorerst unkommentiert – auflisten.

– Die Altkolonisten sind doch auch auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes getauft worden.

– Die Altkolonisten glauben an Gott und die Bibel und meinten es bei der Taufe ernst.

– Die Taufe ist nicht heilsnotwendig und darum in diesem Fall überflüssig.

– Es würde die Altkolonisten abschrecken, wenn wir Menschen ein zweites Mal tauften und den Kontakt mit ihnen erschweren, wenn man sie mit dem Evangelium erreichen wollte.

– Simon wurde, nach seinem Versuch, die Gabe mit Händeauflegung den Heiligen Geist zu vermitteln, von Petrus zu kaufen, nicht aufgerufen sich taufen zu lassen, sondern Buße zu tun.

– Apollos war wohlmöglich nicht auf den Glauben getauft.

– Gott nahm es mit der Reihenfolge von Bekehrung und Taufe nicht so genau, weil sie verschieden war.

Diese Einwände kommen nicht nur von Geschwistern, die jung im Glauben sind und vor diesem Schritt zurückschrecken, sondern auch von hierzulande anerkannten Lehrern des Wortes. Ich rufe den Leser auf, diese Einwände auf ihre Haltbarkeit hin zu untersuchen. Mir drängt sich der Verdacht auf, dass durch diese Einwände die Lehre der Taufe relativiert wird.

Die Konsequenzen

Nun möchte ich auf zwei dieser Einwände eingehen, hinter die sich Geschwister verstecken, wenn es um ihre Taufe geht, die sie als Ungläubige erfahren haben und an ihnen zeigen, wie gefährlich diese auf die Dauer werden.

Ein großer Teil hält verzweifelt daran fest, dass die Taufe an sich nicht heilsnotwenig ist. Das stimmt auch. Aber auf welchem Niveau bewegen wir uns eigentlich, wenn wir nur tun, was für unser Heil notwendig ist? Jesus erwartet eine ganz andere Haltung von uns, wenn er sagt: „Liebt ihr mich, so haltet meine Gebote!“, Johannes 14,15. Abgesehen von dem was die Taufe symbolisiert, ist sie ganz einfach ein Gehorsamsschritt. Als Jesus seinen Jüngern den Auftrag gab das Evangelium zu verbreiten, gehörte die Taufe auch dazu[12]. Bei den meisten, die diesen Einwand vorbringen, ist es eine faule Ausrede, weil sie es mit den anderen Geboten in der Regel ernst nehmen. Leider gibt es aber auch solche, die das Prinzip „nicht heilsnotwendig“ auch auf andere Gebote anwenden. Wo kommen wir auf die Dauer hin, wenn der Einwand „nicht heilsnotwendig“ in unseren Gemeinden zuhause wird? Dieser Einwand zeigt nicht, dass jemand verstanden hat, dass man nur durch den Glauben gerettet wird, sondern dass er die Herrschaft Jesu außer Acht gelassen hat.

Ein anderer Teil, der sich der Vorbildfunktion für die Jugend bewusst ist, untermauert die alte Taufe mit dem alten Glauben. Sie sagen, dass sie damals bei der Taufe an Gott geglaubt hätten, auch dass Jesus gestorben und auferstanden sei. Ohne Frage, die Altkolonisten sind christlich – eine christliche Sekte – doch dieser Glaube ist tot. Jakobus erörtert den altkolonistischen Glauben in seinem Brief ausführlich[13]. Es ist beunruhigend, wie sogar Prediger immer mehr von ihrer eigenen Bekehrung abschneiden und es der altkolonistischen Taufe anfügen. Einige gehe sogar soweit, dass sie, auf ihren Glauben angesprochen, sagen sie sein damals bekehrt gewesen und hätten erst später das Evangelium verstanden und die Taufe des Heiligen Geistes – also die Wiedergeburt – empfangen! Von einem Bruder aus unserer Gemeinde, der bei der Evangelisation mit Wilhelm Pahls eine spektakuläre Bekehrung erlebt hatte, hörte ich, dass er diese nach einiger Zeit wieder zurücknahm und seine Beichte beim Ältesten als Bekehrung ansah, damals kurz vor seiner Taufe. Es ist erschreckend, wie leichtsinnig Leute mit ihrem eigenen Heil umgehen, nur um die altkolonistische Taufe zu rechtfertigen.

Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Taufe ein elementarer Bestandteil des Evangeliums ist. Nicht nur in der Lehre, nein, vielmehr auch in der persönlichen Erfahrung mit Gott. Er erwartet, dass wir uns öffentlich auf seine Seite stellen und unser Verhältnis zur Welt kündigen. Das ist bei den meisten, die die altkolonistische Taufe empfangen haben, leider nicht der Fall.

Wer die Wiedergeburt und die altkolonistische Taufe miteinander verbindet, der füllt neuen Wein in alte Schläuche. Glaube und Taufe gehören zusammen. Und wenn jemand getauft wird, ohne den lebendigen Glauben in sich zu tragen, dann hat die Taufe keinen Wert – sie wird ihrer Bestimmung in keiner Weise gerecht.

Es geht mir um die geistliche Gesundheit meiner Geschwister hier in Bolivien. Darum möchte ich mit den Worten von Paulus abschließen:

„Habt acht auf euch selbst und auf die Lehre; beharrt in diesen Dingen! Denn wenn ihr dies tut, so werdet ihr sowohl euch selbst retten als auch die, die euch hören“ (1. Timotheus 4,16).

[1] Epheser 4,5

[2] Apostelgeschichte 8,36.37

[3] 2.Timotheus 3,14

[4] Römer 8,33

[5] Philipper 2,12

[6] Jakobus 2,19

[7] Apostelgeschichte 2,38.40

[8] Johannes 17,15

[9] Matthäus 5,13-16

[10] Philipper 3,7-11

[11] Galater 2,20

[12] Matthäus 28,18-20

[13] Jakobus 2,14-26