Veröffentlicht am 26.01.2022

Die entscheidende Frage in Bezug auf die Beziehung zwischen Souveränität Gottes einerseits und der Gnade andererseits wurde in den Jahrhunderten nach der Reformation immer wieder gestellt. John Wesley (1703-1791), arminianisch geprägt, schrieb im ersten Band seiner Buchreihe Works, die er in den Jahren 1771-1774 verfasste: „Durch Gnade seid ihr errettet. Ihr seid von euren Sünden errettet, von der Schuld und Macht dieser, ihr seid wiederhergestellt zum Wohlgefallen und in das Bild Gottes, nicht aufgrund von irgendwelchen Werken, Leistungen oder euren Verdiensten, sondern durch die freie Gnade, die reine Gnade Gottes, durch den Verdienst seines geliebten Sohnes.“[1]

Auf den ersten Blick würde kein Calvinist an dieser Aussage etwas auszusetzen haben. Die Kontroverse Wesleys mit dem Calvinisten George Whitefield machte deutlich, dass nicht so sehr die Gnadenlehre umstritten war, sondern ihr theologischer Disput von der Frage bestimmt war, ob die Gnade frei war und der Mensch über Willensfreiheit verfügt, diese Gnade zu empfangen, wie Wesley es lehrte, oder ob die freie Gnade des souveränen Gottes nur dem frei gegeben wurde, der vor der Zeit erwählt worden war durch den souveränen Ratschluss Gottes, wie Calvin es lehrte.

Wesley vertrat die Ansicht, dass Gott den Menschen nicht zum Heil oder zur Verdammnis vorherbestimmte, sondern lediglich im Voraus wusste, wer sich Gott zuwenden und wer Gott verwerfen würde. Calvinisten hingegen lehnten diese Auffassung ab, da Gott ohne seine souveräne Vorherbestimmung und ohne sein souveränes göttliches Dekret in diesem Fall von Ereignissen in der Welt und Handlungen der Menschen abhinge. Nach ihrer Auffassung verhielt es sich genau umgekehrt. Alle Ereignisse und alle menschlichen Handlungen gehen letztlich auf den souveränen Gott zurück. Gäbe es Ursachen, die den Willen Gottes dirigieren und lenken, anstatt dass Gott alles Geschehen dirigiert und lenkt, dann wäre Gott nicht mehr souveräner Herrscher über seine Schöpfung, so die Calvinisten. Um es zugespitzt auszudrücken, Whitefield warf Wesley vor, er mache die freie Gnade und damit das Heil nicht von der freien Gnade Gottes abhängig, sondern vom freiem Willen des Menschen.

John Wesley und George Whitefield versöhnten sich schließlich, ohne jedoch ihre Positionen aufzugeben. Obgleich die beiden Männer in den wesentlichen Inhalten des Evangeliums übereinstimmten, kamen sie zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen, in welcher Art und Weise der ewige Gott in seiner Souveränität seine Ratschlüsse vor Grundlegung der Welt gefasst hatte. Alan Sell fasst das Kernproblem zusammen: „So treffen wir also auf zwei Parteien in einem Disput, in dem beide die rettende Gnade erheben wollen; und auf beiden Seiten der Lager gab es diejenigen, die befürchteten, ihre Gegner stünden in der Gefahr, das Evangelium zu verzerren. Wenn die Calvinisten besorgt über Gottes Souveränität und Gerechtigkeit wachten, warfen Arminianer ihnen vor, Gottes Liebe in Frage zu stellen. Wenn Arminianer die ethische Verantwortlichkeit betonten, klagten einige Calvinisten sie an, (bestenfalls) Semipelagianer zu sein.“[2]

 

Gottes Ratschluss der Gnade gilt allen Menschen

Was John Wesley und George Whitefield bewegte, war die Wasserscheide theologischen Denkens schon bei Arminius und Calvin. Arminius argumentierte, dass „Gott Adam in seinem Urzustand, und in ihm allen Menschen, die Fähigkeit gegeben hatte, an Christus zu glauben.“[3] Er war überzeugt, dass Gottes Allmacht keinen Zwang auf seine Geschöpfe ausübt, nicht einmal durch unwiderstehliche Gnade. Er schreibt:

Die Wirksamkeit der rettenden Gnade steht nicht im Einklang mit jenem allmächtigen Akt Gottes, durch den er innerlich so im Herzen und Verstand des Menschen wirkt, dass derjenige, dem diese Handlung aufgeprägt wird, nichts anderes tun kann, als Gott, der ihn ruft, zuzustimmen; oder, was dasselbe ist, die Gnade ist keine unwiderstehliche Kraft.[4]

Doch Arminius lehrte keineswegs, dass der Mensch aus eigenem Vermögen zu Gott kommen könne. Wie die Calvinisten lehrte auch Arminius, dass die Gnade bei der Hinwendung des Menschen zu Gott unerlässlich ist. Doch im Unterschied zum Calvinismus war für Arminius die Gnade nicht unwiderstehlich, sondern es war die göttliche Gnade, die den Menschen vor eine Entscheidung stellte: „Diejenigen, die der Berufung oder dem Ruf Gottes gehorsam sind, geben frei ihre Zustimmung zur Gnade; dennoch sind sie zuvor von der Gnade ergriffen, getrieben, angezogen und unterstützt worden; und in dem Moment, in dem sie tatsächlich zustimmen, besitzen sie die Fähigkeit, nicht zuzustimmen.“[5] Bevor der Mensch die Gnade annehmen konnte, war diese Gnade bereits am Wirken. Diesem freien Gnadenwirken konnte der Mensch aber auch widerstehen.

Weiter erklärt Arminius das Gnadengeschehen am Menschen in der Weise, dass der Mensch zu Beginn völlig passiv ist, also nichts aus eigener Kraft zu seiner Bekehrung und Errettung beiträgt:

Ganz zu Beginn seiner Bekehrung verhält sich der Mensch rein passiv; das heißt, gleichwohl, durch einen lebenswichtigen Akt, d.h. [sensio] durch eine Empfindung, nimmt er die Gnade wahr, die ihn ruft, und doch kann er nichts anderes tun, als sie zu empfangen und zu empfinden. Aber wenn er spürt, dass die Gnade auf ihn wirkt oder seinen Verstand und sein Herz bewegt, stimmt er frei zu, so dass er gleichzeitg in der Lage ist, seine Zustimmung zu verweigern.[6]

Der Glaube war für Arminius auf der Grundlage seiner Gnadenlehre stets Gnade und kein menschliches Werk. Nicht einmal Adam in seinem Urzustand der Unschuld vor dem Sündenfall hätte den Glauben begreifen können. Arminius schreibt:

Der evangeliumsgemäße und rettende Glaube ist von so großer Vortrefflichkeit, dass er das ganze Wesen des Menschen und sein ganzes Verständnis übersteigt, sogar das von Adam in seinen Zustand der Unschuld. Der Glaube ist ein gnädiges und unverdientes Geschenk Gottes, das nach der Verwaltung der Mittel, die notwendig sind, dem Zweck zu dienen, wie sie die Gerechtigkeit Gottes erfordert, entweder zur Gnade oder zur Strenge.[7]

Arminius verwirft Calvins doppelte Prädestinationslehre. Die Gabe des Glaubens gewährt Gott „nicht aufgrund eines absoluten Willens zur Rettung bestimmter Menschen,“[8] sondern Gott will in seiner Gnade, dass alle Menschen errettet werden.

 

Die Gnade Gottes

Die Kontroverse zwischen Calvinisten und Nichtcalvinisten unter den Südlichen Baptisten wurde bereits erwähnt. Im Jahre 2012 wurde in der soteriologischen Erklärung mit Artikel 4 unter der Überschrift „Die Gnade Gottes“ ein wesentlicher Punkt aufgenommen. Artikel 4 des Statement of the Traditional Southern Baptist Understanding of God’s Part in Salvation (Erklärung der Südlichen Baptisten über das traditionelle Verständnis von Gottes Anteil an der Errettung) lautet:

Wir bekennen, dass die Gnade die großherzige Entscheidung Gottes ist, jeder Person das Heil anzubieten, indem er die ganze Initiative ergreift, die Erlösung zu schaffen, indem er das Evangelium in der Kraft des Heiligen Geistes frei anbietet und indem er die Gläubigen mit Christus vereint durch den Heiligen Geist und durch Glauben.

Wir verneinen, dass die Gnade die Notwendigkeit eine freie Antwort des Glaubens ausschließt oder dass ihr nicht widerstanden werden kann. Wir verneinen, dass die Antwort des Glaubens ein Verdienst oder ein Werk ist, durch welches das Heil zu einem Verdienst wird.

Esra 9,8; Sprüche 3,34; Sacharja 12,10; Matthäus 19,16-30; 23,37; Lukas 10,1-12; Apostelgeschichte 15,11; 20,24; Römer 3,24.27-28; 5,6.8.15-21; Galater 1,6; 2,21; 5; Epheser 2,8-10; Philipper 3,2-9; Kolosser 2,13-17; Hebräer 4,16; 9,28; 1Johannes 4,19.[9]

Calvinisten hingegen würden im Allgemeinen einwenden, dass die Willensfreiheit des Menschen im Prozess der Heilsaneignung schon ein Werk oder ein Verdienst des Menschen darstelle und damit die Gnade entwerte. Die unwiderstehliche Gnade mache aus dem gefallenen Sünder einen neuen Menschen. Erst dann könne der Sünder zu Gott umkehren. Manche Calvinisten argumentieren, der Mensch bleibe dennoch für seine Entscheidung verantwortlich, obgleich die Gnade unwiderstehlich und zwingend, das am Menschen bewirkt, was Gott in seiner Souveränität vor Grundlegung der Welt beschlossen hat. Ich erinnere noch einmal an die Aussage des calvinistisch geprägten EBTC (Europäisches Bibel Trainings Centrum), wo es heißt: „Ist Gott souverän in seiner Erwählung zum Heil und der Errettung des Menschen? Absolut. Ist der Mensch verantwortlich dafür, wie er sich entscheidet? Absolut. Können wir das völlig verstehen oder erklären? Absolut nicht.“[10] Mit anderen Worten, dieser Widerspruch zwischen Willensfreiheit und Verantwortung des Menschen einerseits und der souveränen Erwählungsgnade andererseits ohne irgendein Zutun des Menschen übersteige den intellektuellen Horizont des Menschen und könne nicht erklärt werden.

Argumentieren Nichtcalvinisten hingegen, dass die Gnade völlig frei und ohne menschliches Zutun ist, obgleich der Mensch in seiner Willensfreiheit und Selbstbestimmtheit die Gnade durch Glauben empfangen kann, sind Calvinisten nicht bereit, das Argument gelten zu lassen, dies übersteige den intellektuellen Horizont des Menschen und könne nicht erklärt werden. Die vermeintliche Gegensätzlichkeit zwischen absolut freier Gnade ohne Verdienst und ohne Werke bei gleichzeitiger Willensfreiheit des Menschen, diese freie Gnade anzunehmen oder zu verwerfen, ohne dass die Heilsaneignung nicht durch und durch das Gnadenwerk Gottes ist, will demnach der Calvinist nicht als unerklärlich stehen lassen.

Die Bücher, Traktate, Artikel und Publikationen der reformiert-calvinistischen Tradition könnten riesige Bibliotheken füllen. Obgleich die Literatur dieser Tradition sich nicht ausschließlich mit der Soteriologie befasst, trifft man immer dann, wenn es um das Thema des Heils geht, auf die immer gleichen stereotypen Argumentationen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, wie in Kapitel 5 am Beispiel von Thomas F. Torrance gezeigt wurde, beharrt calvinistische Soteriologie auf den immer gleichen Prämissen. Gottes Heilshandeln wird zu einseitig aus der Perspektive des ewigen göttlichen Ratschlusses und der göttlichen Souveränität betrachtet.

Die Südlichen Baptisten, wie evangelikale Arminianer, betonen im Unterschied zu den Calvinisten jedoch Gottes Barmherzigkeit und sein Liebeswerk in Christus und stellen nicht das souveräne Dekret Gottes in den Mittelpunkt ihres biblischen Verständnisses. Brad Reynolds schreibt:

Die erstaunliche Gnade Gottes ist untrennbar mit der erstaunlichen Liebe Gottes verbunden. Als wir noch Sünder waren, trat Christus dennoch an unsere Stelle. Er nahm das Gericht Gottes auf sich selbst. Als unser Stellvertreter bezahlte er die Schuld. … Gott wartete nicht, bis wir gut genug waren, um seine Liebe zu verdienen (was natürlich niemand jemals könnte), bevor er aus seiner Liebe für uns handelte. Christus starb für uns, als wir noch fern von ihm waren… Wir sollten weder die Güte Gottes auf dem Altar theologischer Systeme opfern, noch gewisse Texte außer Acht lassen, die sich als hilfreich erweisen, andere biblische Texte klarzustellen.[11]

Christi Geburt, Leben, Leiden und Sterben ist ebenso Gnade, wie die Gabe des Evangeliums, des Heiligen Geistes und der Errettung. Das Werk des Heiligen Geistes ist Gnade, die Gabe des Heils ist Gnade. „Gnade! Gnade! Gnade! Gott ist der Anfänger und Vollender des Heils.“[12] Die Verfasser der baptistischen Erklärung waren sich sehr wohl bewusst, dass ihre Position Widerspruch hervorrufen würde. Aus diesem Grund verfassten sie Artikel 4 in bejahender wie verneinender Form. Sie verneinen die unwiderstehliche Gnade aber auch die Auffassung, der Glaube sei ein menschliches Werk.

 

Glaube ist eine Handlung und kein Werk

Wenn Paulus Glaube und Werke als etwas gegenüberstellt, was sich gegenseitig ausschließt (Röm 3,27-28), dann bedeutet dies nicht, dass die Schrift sagt, der Glaube sei ein menschlicher Verdienst. Die eigentliche Frage ist die Quelle des Glaubens. Ist der Glaube eine Gabe Gottes an den Menschen? Oder kann der Mensch aus eigenem Vermögen glauben? „Denn aus Gnade seid ihr errettet durch den Glauben, und das (touto) nicht aus euch — Gottes Gabe ist es“ (Eph 2,8). Worauf bezieht sich das Demonstrativpronomen das im Singular? Würde es sich auf Gnade und Glauben beziehen, müsste das Pronomen im Plural stehen und tauta lauten. Könnte sich das Pronomen nicht auch auf den Glauben beziehen? Brad Reynolds führt aus:

Obgleich die neutrale Singularform von das eine solche Interpretation erlauben würde, wäre die weibliche Form klarer, da es sich [bei dem Wort Glauben] um ein weibliches Nomen handelt. … Aber der Kontext scheint eine solche Interpretation auszuschließen. Paulus behandelt in den Versen 5-7 und 9-10 die Errettung. Der Rest der paulinischen Schrift macht deutlich, dass er sich nicht über das Missverständnis besorgt zeigt, der Glaube komme aus den Werken, sondern das Heil komme aus den Werken. Die Bibel lehrt, dass die Gnade Gottes Gnade ist, die dem Menschen gegeben wird; es handelt sich niemals um die Gnade eines Menschen. Und die Errettung ist ganz gewiss Gottes Gabe. Aber die Schrift lehrt auch, dass der Mensch Gott glauben und vertrauen muss und dass Glaube nicht passiv empfangen wird. … Glaube ist eine Handlung und kein Werk. Werke sind eine Untergruppe von Handlungen, sodass alle Werke Handlungen sind. Aber das Umgekehrte gilt nicht notwendigerweise; nicht alle Handlungen sind Werke, und der Glaube ist ein Beispiel dafür. Glauben auszuüben ist etwas, was wir tun, aber es handelt sich nicht um ein Werk des Verdienstes.[13]

Das Missverständnis der calvinistischen Soteriologie geht auf diese Missachtung der Nuancen in der Schrift zurück. Brad Reynolds führt 39 Schriftstellen[14] an, die zeigen, dass der Glaube eine Handlung des Menschen ist aber zugleich dennoch kein menschlicher Verdienst im Sinne eines Werkes, das die Gnade außer Kraft setzt. Er verweist auf Calvins Kommentar zu Epheser 2,8. Hier betont Calvin, dass „Paulus nämlich nicht bloß sagen will, dass der Glaube Gottes Gabe ist, wie man gewöhnlich den Satz (V. 8) versteht. Vielmehr bezieht sich der Ausdruck auf den gesamten Gedanken: das Heil ist durch und durch Gottes Geschenk und Gabe.“[15] Weiter schreibt Calvin in seinem Epheserkommentar zum 2. Kapitel:

8. Aus Gnade seid ihr selig worden. Diesen Satz können wir als den Abschluss der ganzen bisherigen Gedankenreihe betrachten. Denn die ganze Erörterung über die Erwählung und Berufung aus freier Gnade zielt lediglich auf den einen Punkt, uns einzuprägen, dass wir das Heil nur durch den Glauben erlangen. Paulus spricht aus, dass unser Heil allein ein Werk der freien göttlichen Gnade ist, und dass wir diese Gnade allein durch Glauben annehmen können. Erwägen wir auf der einen Seite, was Gott tut, so betont der Apostel, dass er uns durchaus nichts schuldig ist. Unsere Seligkeit ist also keine Belohnung oder Wiedervergeltung, sondern ein Gnadengeschenk. Betrachten wir andererseits den Menschen, so kann derselbe nichts, als aus Gottes Hand die Seligkeit hinnehmen. Das Mittel dazu ist der Glaube. Daraus ergibt sich dann der Schluss, dass in diesem ganzen Handel nichts aus uns selbst stammt. Damit fällt alle Kraft des freien Willens, der guten Vorsätze, des eigenen Verdienstes und selbst gemachter Vorbereitungen auf die Gnade. Denn der Glaube kommt völlig leer zu Gott, um sich mit Christi Gütern füllen zu lassen. In dieser Stimmung weist uns der Zusatz: und dasselbige nicht aus euch. So sollen wir nichts uns selbst zuschreiben, sondern Gott allein als den Urheber unseres Heils anerkennen.[16]

Selbst den Ausführungen Calvins kann man demnach entnehmen, dass es nicht der Glaube ist, der eine Gabe Gottes ist, sondern das Heil ist Gottes Gabe an den Menschen. Dass der Glaube gleichwohl nicht aus dem Menschen selbst stammt, wie Calvin schreibt, findet auch die Zustimmung nichtcalvinistischer Theologen. Reynolds übergeht keineswegs jene Schriftstellen, die von Calvinisten angeführt werden, um zu zeigen, dass auch der Glaube eine Gottesgabe ist. Zu diesen Schriftstellen zählen Johannes 6,29, Philipper 1,29 und 1Petrus 1,21. Glaube ist das Werk Gottes (Joh 6,29), Glaube wurde als Gnade verliehen (Phil 1,29), und Glaube als Gabe Christi – „die ihr durch ihn [Christus] an Gott glaubt“ (1Petr 1,21). Bradley schreibt: „Gott schuf den Menschen mit der Fähigkeit zu glauben. Diese Fähigkeit ging im Sündenfall nicht verloren. Aber die Fähigkeit wurde durch den Fall so verzerrt, dass wir nun nicht mehr in der Lage sind, Gott zu vertrauen ohne die Gnade Gottes. Er gibt seine Gnade allen Menschen, aber seiner Gnade kann widerstanden werden.“[17]

Durch das überführende Werk des Heiligen Geistes, das Ziehen des Vaters, kann der Mensch mit seiner vom souveränen Gott geschenkten Willensfreiheit und Selbstbestimmung die Gnade annehmen oder ihr widerstehen. Gottes Souveränität und menschliche Verantwortlichkeit sind demnach keine Gegensätze, sondern sie müssen aus der Perspektive der Gnade und Liebe Gottes betrachtet und gedacht werden. Hier neigt Calvin zu sehr zu der deterministischen Vorstellung, dass alle Ereignisse und Handlungen der Menschen schon von Ewigkeit wie in einem Drehbuch vorherbestimmt sind und sich minutiös so ereignen müssen, damit Gottes Souveränität unangetastet bleibt. Das nichtcalvinistische Verständnis betrachtet jedoch das Handeln Gottes vor allem aus der Perspektive des barmherzigen Gottes der Liebe, der will, dass alle Menschen errettet werden.

Nicht das ewige Dekret Gottes, nicht der souveräne Ratschluss Gottes bestimmt alles Geschehen, wie Calvinisten lehren. Die erste Schriftstelle im Neuen Testament, in welcher das Wort „Ratschluss“ vorkommt, widerspricht geradezu dieser Lehre. In Lukas 7,30 heißt es: „Die Pharisäer aber und die Gesetzesgelehrten verwarfen den Ratschluss Gottes, sich selbst zum Schaden, indem sie sich nicht von ihm taufen ließen.“ Menschen können den Ratschluss Gottes verwerfen! Und in Apostelgeschichte 7,51 berichtet Lukas die Worte des Stephanus vor dem Hohen Rat: „Ihr Halsstarrigen und Unbeschnittenen an Herz und Ohren! Ihr widerstrebt allezeit dem Heiligen Geist; wie eure Väter, so auch ihr!“ Die geistlichen Führer widerstrebten dem Heiligen Geist. Folglich kann der Mensch den Ratschluss Gottes verwerfen, dem Heiligen Geist widerstreben. Gnade kann demnach nicht unwiderstehlich sein, wie Calvinisten lehren. Der souveräne Gott in seiner Liebe und Barmherzigkeit gewährt allen Menschen in seiner Gnade und allein durch die Gnade die Fähigkeit zu glauben, weil die Ebenbildlichkeit Gottes, durch den Sündenfall zwar entstellt, dem Menschen erhalten blieb. Der Mensch kann Nein zu Gott sagen, ohne dass er die ewigen Attribute Gottes – seine Souveränität, Gerechtigkeit, Allmacht – im Geringsten in Frage stellt.

 

[1] John Wesley, Works – Volume I, Abingdon Press, Nashville, 1959, S. 330.

[2] Alan P. F. Sell, The Great Debate – Calvinism, Arminianism and Salvation, Wipf & Stock, Eugene, OR, 1998, S. 76.

[3] James Nichols, The Works of James Arminius – Translated from The Latin, Derby and Miller, Auburn, 1853, S. 497-498.

[4] James Nichols, The Works of James Arminius – Translated from The Latin, Derby and Miller, Auburn, 1853, S. 498.

[5] James Nichols, The Works of James Arminius – Translated from The Latin, Derby and Miller, Auburn, 1853, S. 498.

[6] James Nichols, The Works of James Arminius – Translated from The Latin, Derby and Miller, Auburn, 1853, S. 498-499.

[7] James Nichols, The Works of James Arminius – Translated from The Latin, Derby and Miller, Auburn, 1853, S. 500.

[8] James Nichols, The Works of James Arminius – Translated from The Latin, Derby and Miller, Auburn, 1853, S. 500.

[9] David L. Allen, Eric Hankins and Adam Harwood, eds., Anyone Can Be Saved, A Defense of „Traditional“ Southern Baptist Soteriology, Wipf and Stock, Eugene, OR, 2016, S. 65.

[10] Öffentliche Stellungnahme zum Buch von Wilfried Plock.

URL: https://www.ebtc.org/oeffentliche-stellungnahme-zum-buch-von-wilfried-plock/. Aufgerufen am 23.07.2020.

[11] David L. Allen, Eric Hankins and Adam Harwood, eds., Anyone Can Be Saved, A Defense of „Traditional“ Southern Baptist Soteriology, Wipf and Stock, Eugene, OR, 2016, S. 67-68.

[12] David L. Allen, Eric Hankins and Adam Harwood, eds., Anyone Can Be Saved, A Defense of „Traditional“ Southern Baptist Soteriology, Wipf and Stock, Eugene, OR, 2016, S. 68.

[13] David L. Allen, Eric Hankins and Adam Harwood, eds., Anyone Can Be Saved, A Defense of „Traditional“ Southern Baptist Soteriology, Wipf and Stock, Eugene, OR, 2016, S. 69-70.

[14] Mt 9,2.22.29; 15,28; Mk 2,5; 5,34; 10,52; Lk 5,20; 7,50; 8,48; 17,19; 18,42; 22,32; Röm 1,8; 1Kor 2,5; 15,14.17; 2Kor 1,24; 10,15; Eph 1,15; Phil 2,17; Kol 1,4; 1Thes 1,8; 3,2.5.6.7.10; 2Thes 1,3; Phim 6; Hebr 10,23; 12,2; Jak 1,3; 2,18; 1Petr 1,7.9.21; 2Petr 1,5, 1Joh 5,4.

[15] Jean Calvin, Epheserbrief, S 18.

Download, Lesekammer. URL: https://lesekammer.de/jean-calvin-epheserbrief/. Aufgerufen am 7.8.2020.

[16] Jean Calvin, Epheserbrief, S 18.

Download, Lesekammer. URL: https://lesekammer.de/jean-calvin-epheserbrief/. Aufgerufen am 7.8.2020.

[17] David L. Allen, Eric Hankins and Adam Harwood, eds., Anyone Can Be Saved, A Defense of „Traditional“ Southern Baptist Soteriology, Wipf and Stock, Eugene, OR, 2016, S. 72.