Wenn ich diesen Punkt so bezeichne, stelle ich nicht in Abrede, dass der Arminianismus nicht auch gute Seiten hat. Ich möchte sechs Schwachpunkte aufzeigen.

1. Die Allwissenheit Gottes wird von manchen Arminianern angezweifelt
Gott ist Gott. Er ist Geist, er ist Licht und er ist Liebe. Das ist sein Wesen. Weil Gott Geist ist, ist er allgegenwärtig, allmächtig und auch allwissend. Darum enthält die Bibel als einziges „religiöses“ Buch Prophetie. Gott konnte seinen Propheten auf Jahrtausende hinaus die Zukunft offenbaren (vgl. z.B. das alttestamentliche Buch Jesaja).
So schreibt zum Beispiel Pinnock:
Natürlich preist die Bibel Gott als jemanden, der detailliertes Vorherwissen besitzt von dem, was geschehen wird und was er selbst tun wird. Aber sie lehrt kein grenzenloses Vorherwissen, weil die Zukunft ja Dinge beinhaltet, die jetzt noch gar nicht entschieden sind, und Gottes Reaktionen darauf stehen jetzt auch noch nicht fest.
Es ist töricht, die Allwissenheit Gottes in Frage zu stellen. Sie ist in der ganzen Schrift umfassend bezeugt.

2. Arminianer sprechen fälschlicherweise vom freien Willen des Menschen
Die Arminianer lehren:

Die Erbsünde ist nicht absolut. Darum ist der freie Wille durch die Erbsünde nicht aufgehoben.

Hier irren die Arminianer. Einen „freien Willen“ kann der gefallene Mensch nicht mehr haben. Unser Wille ist schon durch unsere Geschöpflichkeit eingeschränkt. Selbst, wenn wir aus dem Stand zehn Meter hoch springen wollten, wir könnten es nicht.
Aber auch im moralischen Sinn ist unser Wille nicht mehr frei. Adam konnte sich im Garten Eden noch frei entscheiden, ob er Gott gehorsam sein wollte oder nicht. Wir „Adamskinder“ können das nicht mehr. Unser Wille muss befreit werden. Die Gefängnistüre muss zuerst aufgeschlossen werden. Diese Sicht wurde mir schon vor 35 Jahren durch meine geschätzten und inzwischen heimgegangenen Lehrer Walter Tlach und Heiko Krimmer vermittelt.

So sieht es auch Roger Liebi:

Kein Mensch sucht von sich aus Gott (Röm 3,10). Somit kann er sich gar nicht von sich aus bekehren. Sein Wille ist gebunden durch Satan (2Kor 4,4) und durch die Sünde (1Mos 6,5). Im wahrsten Sinn des Wortes kann man also nicht von einem freien Willen des Menschen sprechen. Der Wille des Menschen ist geknechtet. Darum ist die Lehre der Pelagianer vollkommen falsch!

Peter Engler sagt in einem Vortrag, der als Ausarbeitung unter dem Titel „Arminianismus und Calvinismus – unvereinbar?“ im Internet zu finden ist, folgende Sätze:

Der Wille des Menschen ist in den natürlichen Dingen einigermaßen frei – ich kann beispielsweise entscheiden, ob ich zur Türe gehen oder hier auf der Kanzel stehen bleiben will.
Aber in den geistlichen Dingen gilt das nicht. Ich kann mich nicht einfach für Jesus entscheiden, wenn ich will. […] Erst wenn der Wille des Menschen durch die Gnade Gottes zur geistlichen Entscheidung befreit worden ist, kann er sich für oder gegen Jesus entscheiden.

Genau aus diesem Grund spreche ich lieber von einem „befreiten Willen“. Der Sünder steht nicht wie Herkules am Scheideweg und kann sich frei für Himmel oder Hölle entscheiden. Ohne Gottes vorlaufende Gnade geht gar nichts. Nur weil der barmherzige Gott die Gefängniszelle aufschließt, kann der Sünder in die Freiheit gelangen. Das Aufschließen geschieht unter der Verkündigung des Wortes Gottes und unter dem Wirken des Heiligen Geistes (Apg 16,14; Röm 10,17).

4. Arminianer neigen oft zu pragmatischen Evangelisationsmethoden
Während sie zurecht die freie Gnade betonen, fallen sie leider immer wieder auf der anderen Seite vom Pferd und verwenden in der Evangelisation Methoden, die weder biblisch noch geistlich sind. Der Sünder wird nicht nur zur Bekehrung eingeladen (was absolut biblisch ist), sondern er wird teilweise mit psychologischen Mitteln manipuliert.
Damit meine ich folgende Praktiken: Nach einer Predigt werden Menschen gebeten, die Hand zu heben, ein gemeinsames Übergabegebet mitzusprechen, nach vorne zu kommen etc. Das Ganze wird oft mit mehr oder weniger rührselig gesungenen oder vorgetragenen Liedern etc. verstärkt. In manchen Gemeinden müssen die Bußfertigen ihre Sünden sogar laut vor allen Anwesenden im Gebet bekennen und möglichst dazu noch weinen.
Diese pragmatischen Methoden, die Charles Finney in die Evangelisation eingeführt hat, sind sehr fragwürdig. Meines Erachtens halten sie einer biblischen Prüfung nicht stand.
Ich habe sogar arminianisch geprägte Christen getroffen, die mir nicht glauben wollten, dass sich auch Menschen ganz allein vor Gott aufrichtig bekehren können.

5. Manche arminianisch-geprägte Christen bzw. Gemeinden tendieren zur Gesetzlichkeit
In den letzten knapp 40 Jahren durfte ich im In- und Ausland ein großes Spektrum von Gemeinden kennenlernen. Ich lernte, dass jede Gemeinde Stärken und Schwächen hat.
Zu den Schwächen der arminianisch-geprägten Gemeinden zählt ein gewisser Hang zur Gesetzlichkeit. Damit meine ich, dass zu der inspirierten Schrift zusätzliche Regeln aufgestellt werden, deren Befolgung obligatorisch ist. Ein Verstoß gegen diese Gesetze wird mit Ungehorsam gleichgesetzt und kann mit Gemeindezucht geahndet werden. Hier eine kleine Beispielsammlung der „verbotenen Dinge“:
– kein Fernsehen, kein Kino, kein Gebrauch von Smartphones, kein privates Internet
– keine Video-Aufnahmen, auch nicht vom Laufen- oder Sprechenlernen der Kinder etc.
– keine Hosen, kein Haareschneiden der Frauen, kein Beine-Rasieren
– kein Tragen von Anzügen und Krawatten im Gottesdienst, Verbot von Barttragen etc.

Ich möchte nicht falsch verstanden werden. Eine Gemeinde hat selbstverständlich das Recht, gewisse Regeln aufzustellen. Schon eine feste Gottesdienstzeit ist eine Regel. Aber wenn die Regeln in ihrer Bedeutung überhöht und quasi der Bibel gleichgestellt werden, dann ist das eindeutig Gesetzlichkeit.
Nach meiner Beobachtung neigen solche Gemeinden, in denen das Tun des Menschen stark betont wird, eher zu einer solchen Regelfrömmigkeit als andere.

6. Arminianer stellen meistens die Sicherheit der Errettung in Frage
Kein Arminianer kann sicher sein, dass er den Himmel erreichen wird. Über der Errettung steht immer ein großes Fragezeichen: Werde ich wirklich bis zum Ende treu bleiben oder werde ich (doch) abfallen? Arminianer haben lediglich eine „gegenwärtige Errettung“ – keine zukünftige. Sie wissen ja nicht, ob sie unter schweren Lebensumständen oder unter Verfolgung treu bleiben werden? Sie betonen so sehr die „Freiheit des Willens“, dass sich dieser Wille eben zu Gott hin bekehren kann – aber auch wieder weg.
Anhänger des arminianischen Systems haben auch kein wirkliches „ewiges Leben“, sondern nur ein „ewiges Leben auf Bewährung“. Wenn sie abfallen, ist das „ewige Leben“ schnell zu Ende.
Das calvinistische System betont mehr die Souveränität und das Handeln Gottes, während das arminianische mehr auf die Freiheit des menschlichen Willens pocht.

Verlierbarkeit
Pelagius
Arminius
Pietismus
Wesley
Viele freie Gemeinden auf dem europäischen
Festland und fast alle russland-deutschen Gemeinden

Unverlierbarkeit
Augustin
Calvin
Puritaner
Whitefield
Viele freie Gemeinden weltweit –
besonders in englischsprachigen Ländern

Die biblische Lehre von der Sicherheit der Erlösten
Es gibt bei der Auslegung der Heiligen Schrift einen fundamentalen Grundsatz, und der lautet: Unklare Stellen müssen immer von eindeutigen Stellen her ausgelegt werden – nicht umgekehrt. Ernst G. Maier zeigt, dass die Lehre von der Sicherheit der Erlösten eine durchgängige biblische Lehre ist, die mit allen anderen Grundlehren der Schrift in Übereinstimmung steht:
a. Die Lehre von der Heilssicherheit steht im Einklang mit der Souveränität Gottes. Gott ist stärker als Satan und kann das, was er sich vorgenommen hat, auch durchführen.
b. Die Lehre von der Heilssicherheit steht im Einklang mit der biblischen Lehre von der Erwählung. Gott bringt die, die er erwählt hat, an das von ihm bestimmte Ziel.
c. Die Lehre von der Heilssicherheit steht im Einklang mit der biblischen Lehre von der Vorherbestimmung. Gott hat bestimmt, dass die Erwählten in das Bild Jesu Christi umgestaltet werden sollen (Röm 8,29).
d. Die Lehre von der Heilssicherheit steht im Einklang mit der Lehre vom stellvertretenden Opfertod Christi. Der Herr Jesus hat die Gläubigen tatsächlich erlöst. Andernfalls (wenn sie doch wieder verloren gehen könnten) hätte er nur die Möglichkeit der Erlösung geschaffen.
e. Die Lehre von der Heilssicherheit steht im Einklang mit der biblischen Lehre vom hohepriesterlichen Dienst Christi. Der Herr Jesus vertritt seine Erlösten beim Vater. Er lässt keinen einzigen fallen, und er verliert keinen, der ihm gehört (Lk 22,31-32).
f. Die Lehre von der Heilssicherheit steht im Einklang mit der biblischen Lehre vom Wirken des Heiligen Geistes. Der Heilige Geist ist das Pfand und das Siegel für die Vollendung unserer Erlösung (Eph 1,13 + 4,30).
g. Die Lehre von der Heilssicherheit steht im Einklang mit der biblischen Lehre von der Gemeinde. Die Gemeinde ist ein Leib mit vielen Gliedern und gleichzeitig die Braut Christi. Der Herr Jesus empfängt bei der Entrückung der Gemeinde weder einen zerstückelten Leib, noch eine verkrüppelte Braut.

Arnold Fruchtenbaum fasst zusammen:

Die Sicherheit vom Heil des Gläubigen gründet sich auf Gottes Gnade und Vollmacht. Sie gründet sich nicht auf unsere Fähigkeit, unsere Errettung zu erhalten. Würde sie sich auf unsere Fähigkeit gründen, wäre ein jeder von uns inzwischen schon verloren. Aber die ewige Sicherheit gründet sich auf Gottes Fähigkeit zu erretten – für alle Ewigkeit zu erretten – und uns im Zustand dieser Errettung zu erhalten.

Die Ehre Gottes steht auf dem Spiel
Bemerkenswert war die Sicherheit jener alten Frau, die auf dem Sterbebett lag und nach ihrem Seelsorger verlangte. Dieser fragte sie schließlich: „Schwester, vertraust du immer noch auf den Herrn Jesus Christus?“ – „Selbstverständlich“, antwortete sie. „Er ist meine einzige Hoffnung im Leben und im Sterben.“
Der Seelsorger fragte weiter: „Glaubst du, dass ER dich in den Himmel bringen wird?“ – „Ja“, sagte sie, „das glaube ich ganz fest.“ „Aber“, sagte der Seelsorger, „angenommen er tut es nicht – was dann?“
Die alte Frau dachte einen Augenblick nach. Dann sagte sie mit fester Stimme: „Natürlich kann Gott mit mir machen, was er will. Aber wenn er mich nicht in den Himmel lässt, dann verliert er mehr als ich. Ich verliere zwar dann meine Seele, aber Gott verliert seine Ehre, denn er hat bei seinem Wort geschworen, dass diejenigen, die ihr Vertrauen in seinen Sohn setzen, nie verloren gehen werden.“
Dieses kindliche Vertrauen in Gottes Zusagen wünsche ich jedem Leser.

© Wilfried Plock, Hünfeld