21. April 2021

Gewährt Gott einigen die Buße und anderen nicht?

Prof. Dr. Leighton Flowers

www.soteriology101.com/2019/11/24/does-god-grant-repentance-to-some-and-not-others   /  Zugriff am 18.04.2021

Übersetzt von Esther Dorendorf

 

Angesehene calvinistische Pastoren und Theologen zitieren oft 2 Timotheus 2,24-26, um ihre Behauptung zu beweisen, dass Gott einigen Menschen (denen, die er vor Grundlegung der Welt bedingungslos erwählt hat) wirksam eine neue Natur gibt, die unausweichlich dazu führt, dass sie Buße tun und umkehren. Laut calvinistischer Theologie übergeht Gott alle anderen Menschen und überlässt sie ihrem hoffnungslosen, natürlichen Zustand, den sie aufgrund des Sündenfalls von Adam ererbt haben, weshalb sie auf den Ruf des Evangeliums nur mit Hass und Verachtung reagieren können.[1]

Ist es aber das, was der Apostel hier sagen will? Wir wollen uns diesen Abschnitt im entsprechenden Zusammenhang genauer ansehen:

Ein Knecht des HERRN aber soll nicht streiten, sondern milde sein gegen jedermann, fähig zu lehren, geduldig im Ertragen von Bosheiten; er soll mit Sanftmut die Widerspenstigen zurechtweisen, ob ihnen Gott nicht noch Buße geben möchte zur Erkenntnis der Wahrheit und sie wieder nüchtern werden aus dem Fallstrick des Teufels heraus, von dem sie lebendig gefangen worden sind für seinen Willen (2Tim 2,24-26).

Warum soll ein Knecht des Herrn sanftmütig bleiben, wenn er andere zurechtweist?

Ein Knecht des HERRN aber soll nicht streiten, sondern milde sein gegen jedermann, fähig zu lehren, geduldig im Ertragen von Bosheiten; er soll mit Sanftmut die Widerspenstigen zurechtweisen . . .   

Paulus gibt hier einem jungen Hirten einen Rat, wie er jemanden, der ihm widersteht, zum Glauben führen kann. Er beginnt, indem er betont, wie wichtig es ist, dass wir Sanftmut und Geduld zeigen, wenn wir es mit Menschen zu tun haben, die unseren Überzeugungen widersprechen. Wenn der Calvinismus wahr wäre, hätte es letztendlich keinerlei Einfluss auf die Reaktion seiner Zuhörer, ob der Älteste sanftmütig oder grob und unfreundlich wäre. Würde Gott tatsächlich ein Werk effektiver Gnade an seinen Auserwählten durchführen, würden diese unabhängig von dem Temperament oder der Geduld ihres Hirten Buße tun und zum Glauben kommen. Daher unterminiert die calvinistische Interpretation den Hauptgedanken, den der Apostel mit seinen Anweisungen an junge Hirten weitergeben möchte.

 

Ist Buße eine Gabe Gottes?

. . . ob ihnen Gott nicht noch Buße geben möchte . . .

 Ja, die Buße ist etwas, das Gott uns gegeben hat, aber „gegeben“ heißt nicht, dass Gott sie „wirksam in uns verursacht hat.“ Deshalb sollte dieser Abschnitt nicht so verstanden werden, als würde Gott die Buße einer relativ kleinen Anzahl von Menschen schenken, die auf mysteriöse Weise und aus unbekannten Gründen vor Grundlegung der Welt auserwählt wurden.

Mit der Aussage „Buße ist eine Gabe Gottes“ haben wir kein Problem, insofern als alle guten Dinge letztendlich von Gott stammen. Paulus fragte seine Leser: „Und was besitzt du, das du nicht empfangen hast?“ (1 Kor. 4,7) Damit will er sagen, dass alle unsere Fähigkeiten, einschließlich der Fähigkeit, eine Wahl zur Buße zu treffen, oder sich dazu zu entscheiden, Gott zu vertrauen, uns von einem gnädigen Schöpfer verliehen worden sind.

Zu behaupten, dass Gott den Menschen die Wahl überlässt, ob sie Buße tun möchten oder nicht, ist etwas fundamental anderes, als zu behaupten, dass Gott darüber entscheidet, ob der Mensch Buße tun wird oder nicht.

 Mein nächster Atemzug ist mir von Gott gegeben, aber ich bin dafür verantwortlich, wie ich diese Gabe einsetze, nicht wahr? Gleicherweise wird uns der Glaube oder die Buße „gegeben,“ wenn Gott uns die Mittel gibt, durch die wir glauben und Buße tun können, aber wir sind immer noch selbst dafür verantwortlich, wie wir die Gaben einsetzen, die er uns verleiht.

Wenn die Schrift uns also Dinge sagt wie: „So hat denn Gott auch den Heiden die Buße zum Leben gegeben!“ (Apg 11,18; 20,21), dann heißt das nicht: „Gott hat einige wenige Auserwählte aus den Heiden wirksam dazu gebracht, Buße zu tun,“ sondern nur, dass Gott den Heiden das Evangelium sandte, so wie er das für die Juden tat, sodass auch die Heiden Buße tun können, durch den Glauben neues Leben haben können (Joh 20,31) und in den Ölbaum eingepfropft werden können (Röm 11).

Muss die Gabe Gottes wirksam verliehen werden, damit Gott maximal verherrlicht wird?

John Piper, und die meisten anderen Calvinisten mit ihm, nehmen fälschlicherweise an, dass Gott nur dann die größtmögliche Ehre für seine Gaben erhält, wenn er sie „unwiderstehlich“ gibt (auf eine Art und Weise, welche die Empfänger wirksam dazu veranlasst, das Geschenk anzunehmen und sinnvoll zu gebrauchen). Aber seit wann muss ein Geschenk effektiv oder unwiderstehlich gegeben werden, damit der Geber alle Ehre für das Verleihen seiner Gaben bekommt?

Wenn ich jedem meiner vier Kinder einen Laptop kaufen würde und drei von ihnen würden den Laptop demolieren oder anderweitig zweckentfremden und nur eines meiner Kinder würde ihn so gebrauchen, wie ich das von ihnen allen erwartet hätte – bin ich dann als Vater zu wenig freigiebig oder gütig gewesen? Meine Kinder sind dafür verantwortlich, wie sie mit dem Geschenk umgehen, das ich für sie bereitgestellt habe, und das schmälert in keiner Weise meinen freigiebigen Charakter als ihr liebender Vater, der großzügig für ihre Bedürfnisse vorgesorgt hat.

Was allerdings tatsächlich ein negatives Licht auf meinen Charakter als Vater abgeben würde, wäre, wenn man herausfinden würde, dass ich in irgendeiner Form die „entscheidende Ursache“ des unangemessenen Verhaltens und der schlechten Entscheidungen meiner Kinder wäre. Genau das aber lehrt Piper in Bezug auf Gottes Beziehung zu denen, die gegen seine Vorsorge rebellieren. In einem Artikel mit der Überschrift „A Beginner’s Guide to ‚Free Will‘“ [„Der ‚freie Wille‘ für Anfänger;“ Anm. d. Übers.] argumentiert John Piper:

. . . Gott ist das einzige Wesen, das sich bis ins Letzte selbst bestimmt und er selbst ist letzten Endes derjenige, der alle Dinge in die Wege leitet, einschließlich aller Entscheidungen – ganz gleich wie zahlreich und verschieden andere Ursachen sind, die zu diesen Entscheidungen beitragen. Nach dieser Definition hat kein menschliches Wesen, zu keiner Zeit, einen freien Willen. Weder vor noch nach dem Sündenfall, weder im Himmel noch auf Erden, sind erschaffene Wesen bis ins Letzte selbst-bestimmend. Es gibt immer wieder ein großes Maß an Selbstbestimmung, wie die Bibel oft aufzeigt, aber niemals ist der Mensch die letzte oder entscheidende Ursache seiner Vorlieben und Entscheidungen. Vergleicht man das Handeln des Menschen mit dem Handeln Gottes, dann sind beide real vorhanden, aber Gottes Handeln ist entscheidend. Jedoch – und hier liegt ein Geheimnis, über das viele stolpern – Gott entscheidet immer auf eine solche Weise, dass das Handeln des Menschen real ist und seine Verantwortung bestehen bleibt.[2]

Ich möchte behaupten, dass Piper in Wahrheit Gottes Ehre herabsetzt, wenn er von einer absoluten Wirksamkeit ausgeht. Nach der traditionellen/provisionistischen Sichtweise, bei der Gott für alle Menschen die Mittel zur Errettung bereitstellt, erhält Gott die ganze Ehre für die Gaben, die er allen Menschen gibt und nicht nur denen, die diese Gaben angemessen einsetzen.

Was Gottes Ehre schmälert, ist die Behauptung, Gott würde vielen Menschen das vorenthalten, was sie brauchen, um Buße tun und an ihn glauben zu können, während er sie zugleich dafür richtet und bestraft, dass sie nicht Buße getan und geglaubt haben. Sollte Gott wirklich vielen Menschen die notwendige Gabe der Buße vorenthalten, welch eine bessere Ausrede für ihr Verhalten hätten dann die Menschen, die nicht Buße tun, als die Folgende: „Gott hat mir nicht die Fähigkeit zur Buße gegeben.“

In Markus 6,6 heißt es von Jesus: „Und er verwunderte sich wegen ihres Unglaubens;“ und in Lukas 19,41 lesen wir, dass Jesus über die Unbußfertigkeit und den Unglauben der Israeliten buchstäblich weint; und in Markus 16,14 tadelt Jesus seine Nachfolger für ihren Unglauben – als ob er davon ausgeht, dass sie tatsächlich eine gewisse Kontrolle über Glauben oder Unglauben haben.

Sollte Jesus bei diesen Gelegenheiten so unaufrichtig sein, dass er den Menschen solche Dinge sagt, während er ihnen insgeheim die sogenannten „wirksamen Gaben“ der Buße und des Glaubens vorenthält? Pipers Behauptung, dass Buße und Glaube irgendwelche wirksamen Gaben sind, die Gott einigen wenigen zuvor ausgesuchten Menschen gewährt, während er sie den Massen willkürlich vorenthält, lässt einen großen Teil der Schrift völlig irrational werden. Aus diesem Grund sollte eine solche Behauptung – bei allem Respekt – zurückgewiesen und entschieden widerlegt werden.

Was tut Gott im Einzelnen, um Buße zu „geben“?

Gott führt

. . . zur Erkenntnis der Wahrheit . . .

Er sendet das Evangelium, seine lebensspendende Wahrheit, damit die Menschen den Weg zur Errettung kennenlernen können (Röm 10,14). Wenn wir die Wahrheit erkennen, und sie nicht unterdrücken, dann wird sie uns frei machen (Joh 8,31-32). Gott verleiht also Buße, indem er das Evangelium der Buße sendet, das aber nicht effektiv gehört wird, wenn der Pastor, der diese Wahrheiten ausspricht, denen gegenüber, die sich ihm widersetzen, unfreundlich, ungeduldig und streitsüchtig ist.

Mit anderen Worten sagt Paulus seinem Jünger Timotheus, dass das Evangelium von den Zuhörern wirklich gehört werden muss, wenn sie Buße tun und zum Glauben kommen sollen; und sie können die Wahrheit nicht wirklich hören, wenn der Verkündiger ständig ins Fettnäpfchen tritt. Wenn also der Prediger geduldig und freundlich ist, werden die Zuhörer vielleicht die Wahrheit wirklich hören, und damit erhalten sie die Gelegenheit, darauf zu reagieren und Buße zu tun.

Was meint Paulus mit „ob . . . sie wieder nüchtern werden …“?

. . . ob . . . sie wieder nüchtern werden . . .

Man beachte, dass Paulus nicht sagt: „und sie werden mit Sicherheit wieder nüchtern werden,“ sondern nur „ob … sie wieder nüchtern werden.“ Warum sollten sie wieder nüchtern werden? Weil sie einen besonnenen Pastor haben, der geduldig mit ihnen arbeitet und ihnen hilft, die Wahrheit zu erkennen, die sie zur Errettung führen kann (Siehe Apg 28,23-28 und 2Tim 3,15).

In Lukas 15,11-23 erzählt Jesus uns das Gleichnis von einem jungen Mann, der zur Besinnung – „zu sich selbst“ – kam.

Er kam aber zu sich selbst und sprach: Wie viele Tagelöhner meines Vaters haben Brot im Überfluss, ich aber verderbe vor Hunger! Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sage: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir, und ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu heißen; mache mich zu einem deiner Tagelöhner! . . . und bringt das gemästete Kalb her und schlachtet es; und lasst uns essen und fröhlich sein! Denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden; und er war verloren und ist wiedergefunden worden. Und sie fingen an, fröhlich zu sein.

Man beachte, dass der verlorene Sohn als „tot“ bezeichnet wurde, weil er rebellisch gewesen war und sich von seinem Vater getrennt hatte, und nicht, weil er irgendeine moralische Unfähigkeit ererbt hatte. Er war fähig, zur Besinnung zu kommen und gedemütigt zu seinem Vater zurückzukehren, aber nur der Vater war in der Lage, ihn als seinen wahren Sohn wiederherzustellen. Wenn im ersten Jahrhundert im übertragenen Sinn von einem „Totsein“ gesprochen wurde, war damit nie die „völlige moralische Unfähigkeit“ gemeint, wie sie mit dem „T“ im calvinistischen „TULIP“-System gelehrt wird.

Wenn der Calvinismus wirklich wahr wäre, wozu sollte Paulus dann auf den Teufel verweisen?

 . . . aus dem Fallstrick des Teufels heraus, von dem sie lebendig gefangen worden sind für seinen Willen.

Die calvinistische Lehre von der Völligen Unfähigkeit legt nahe, dass alle Menschen als „geistliche Leichname“ geboren werden und moralisch unfähig sind, geistliche Dinge zu sehen, zu hören und zu verstehen, noch daraufhin Buße zu tun, auch dann nicht, wenn sie mit Gottes inspirierter Wahrheit konfrontiert werden. Das widerspricht jedoch scheinbar dem, was einige führende Calvinisten in Bezug auf den Einfluss, den Satan auf diese Welt hat, lehren.

Beispielsweise erwähnt der calvinistische Pastor John Piper in einem Artikel mit dem Titel Die zehn Strategien Satans gegen dich Folgendes über den großen Betrüger Satan:

„1) Er verblendet die Sinne der Ungläubigen.

„… denen der Gott dieser Weltzeit die Sinne verblendet hat, sodass ihnen das helle Licht des Evangeliums von der Herrlichkeit des Christus nicht aufleuchtet“ (2Kor 4,4). Er spricht also nicht nur aus, was falsch ist, er versteckt auch, was wahr ist. Er hält uns davon ab, den kostbaren Schatz des Evangeliums zu sehen. Er lässt uns Fakten, sogar Beweise sehen, aber nicht den Wert.

2) Satan raubt das Wort Gottes aus den Herzen der Menschen und erstickt den Glauben.

In Markus 4,1-9 erzählt uns Jesus das Gleichnis von den vier Ackerböden. Darin wird der Same des Wortes Gottes ausgesät und einiges fällt auf den Weg und die Vögel picken es schnell weg. In Vers 15 erklärt er: „[Da] kommt sogleich der Satan und nimmt das Wort weg, das in ihre Herzen gesät worden ist.“ Satan reißt das Wort weg, weil er den Glauben hasst, den das Wort hervorbringt (Röm 10,17).

Paulus drückt seine Sorge um den Glauben der Thessalonicher so aus: „[Ich] erkundigte mich nach eurem Glauben, ob nicht etwa der Versucher euch versucht habe und unsere Arbeit umsonst gewesen sei“ (1Thess 3,5). Paulus wusste um Satans Plan, den Glauben der Menschen, die das Wort Gottes gehört haben, zu ersticken.“

Fällt es irgendjemandem auf, dass dieses Bemühen Satans völlig unnötig wäre, wenn der Anspruch des Calvinismus wahr wäre, dass der Mensch von Geburt an vollständig unfähig ist?

Wenn wir bereits von Geburt an vollständig unfähig wären, zu sehen, zu hören, zu verstehen und bereitwillig auf das Wort Gottes zu reagieren, wie das nach der Lehre der völligen Unfähigkeit behauptet wird, wäre dann nicht Satans Werk, die Menschen zu verblenden und Gottes Wort von ihnen wegzunehmen, völlig unnötig und überflüssig?

Schlussfolgerung

Wenn du glaubst, dass Paulus mit seiner Anweisung an Timotheus Folgendes zu sagen beabsichtigte: „Sei freundlich und geduldig, wenn du mit denen sprichst, die dir widersprechen; sie könnten zufällig zu den Auserwählten gehören, welche Gott vor Grundlegung der Welt beschlossen hat, wirksam zu erretten, völlig unabhängig davon, welche Methoden du anwendest!“, dann wäre der Calvinismus für dich vielleicht die beste Option.

Wenn du jedoch glaubst, dass Paulus junge Pastoren anweisen will, freundlich und geduldig zu sein, weil man, wenn man die Wahrheit ausspricht, dies in Liebe tun muss, damit die, die uns widerstehen, die Wahrheit auch effektiv hören können, darf ich dir dann vorschlagen, den Calvinismus hinter dich zu lassen und ein Provisionist [3] zu werden?

[1] John Piper, https://www.youtube.com/watch?v=dvzUpQTQH_Q

[2] John Piper, https://www.desiringgod.org/articles/a-beginners-guide-to-free-will

[3] Jemand, der daran glaubt, dass Gott jedem Menschen den Weg zur Errettung zur Verfügung stellt [Anm. d. Übers.].