https://soteriology101.com/2016/04/24/casting-lots-to-find-gods-will-proverbs-1633/

Übersetzt von Esther Dorendorf

 

„Im Gewandbausch schüttelt man das Los, aber all seine Entscheidung kommt vom HERRN“ (Sprüche 16,33).

John Piper wurde einmal gefragt: „Hat Gott jedes kleinste Detail im Universum vorherbestimmt, wie zum Beispiel Staubpartikel in der Luft . . . einschließlich aller unserer Sünden, die wir tagtäglich tun?“ Er antwortete folgendermaßen:

„Ja . . .  Und der Grund, weshalb ich das glaube, ist, dass die Bibel uns sagt: ‚Im Gewandbausch schüttelt man das Los, aber all seine Entscheidung kommt vom HERRN‘ . . . und warum wird von den Würfeln gesprochen, die im Gewandbausch geschüttelt werden; weil er [Anm. d. Übers.: der Autor] nach der zufälligsten Sache sucht, die er sich denken kann, und dann sagt er das. Bei Gott ist also der Zufall nicht zufällig. Gott kostet es nicht die geringste Anstrengung, jedes subnukleare Teilchen an seinem Platz zu halten . . . das bedeutet, dass auch jede furchtbare, ja, jede sündige Sache letztlich von Gott regiert wird.“[1]

Zu dieser Aussage findet sich eine Parallele in einem Buch, das Piper herausgegeben hat. Dort heißt es:

„Gott . . . bewirkt alle Dinge nach seinem Willen. Mit anderen Worten: Gott kann nicht nur die bösen Aspekte dieser Welt für die, die ihn lieben, zum Guten wenden; vielmehr führt er selbst diese bösen Aspekte zu seiner Ehre und zum Wohl seines Volkes herbei. So unglaublich und inakzeptabel das uns gerade erscheinen mag – es schließt die Tatsache ein, dass Gott sowohl die Brutalität der Nazis in Birkenau und Auschwitz, als auch die furchtbaren Morde von Dennis Rader und sogar den sexuellen Missbrauch eines jungen Kindes herbeigeführt hat . . .“

Wenn man davon ausgeht, dass Gott sogar etwas so Zufälliges wie das Fallen eines Würfels vorherbestimmt, dann ist auch scheinbar die Schlussfolgerung gerechtfertigt, dass Gott ebenfalls die abscheulichen Absichten eines Kinderschänders vorherbestimmt hat, nicht wahr?

Falsch! Das ist einfach nur eine schwache induktive Argumentation, vermischt mit einer ausgeprägten Eisegese [Anm. d. Übers.: also einem Hineinlesen in einen Text, statt einer Auslegung].

Erinnern wir uns, eine der Kernelemente einer guten Hermeneutik ist es, immer nach der ursprünglichen Absicht des Autors zu suchen. Ist es in Sprüche 16,33 die Absicht des Autors, zu behaupten, dass Gott es genauso vorherbestimmt, wohin das Los fällt, wie er die Entscheidungen der Menschen vorherbestimmt hat? Ich hege da ernsthafte Zweifel. Tatsächlich glaube ich sogar, dass hier genau das Gegenteil ausgesagt werden soll. Erlaube mir eine Erklärung.

Viele Menschen damals waren abergläubisch. Wenn sie Entscheidungen treffen mussten, griffen sie auf Praktiken wie das Loswerfen oder Stäbchen-Ziehen zurück, anstatt ihr gesundes Urteilsvermögen, die Lehre der Schrift oder gottesfürchtige Weisheit zu suchen. Daher will der Autor eher so etwas sagen wie: „Wenn du auf solche abergläubischen Mittel wie das Loswerfen zurückgreifst, wirst du dennoch nicht die übergeordneten Vorsätze Gottes vereiteln können.“ Der Autor will nicht behaupten, dass Gott minutiös kontrolliert, wie die Würfel fallen werden, denn das würde nur eine törichte Logik unterstützen. Denn wenn Gott das Ergebnis des Würfelns vorherbestimmen würde, wie deterministische Theisten diese Bibelstelle verstehen, dann würde es absolut Sinn machen, in einem Entscheidungsfindungsprozess auf ein solches Mittel zurückzugreifen! Ganz sicher wäre das das genaue Gegenteil von dem, worauf der Autor tatsächlich mit seiner Aussage zielt.

Eine korrekte Hermeneutik lehrt uns auch, uns den Kontext jeder Bibelstelle anzuschauen. Schon zuvor in diesem 16ten Kapitel hat der Autor uns gesunde Ratschläge für die Entscheidungsfindung gegeben, zum Beispiel:

„Weisheit erwerben – wie viel besser ist es als Gold! Und Verständnis erwerben ist vorzüglicher als Silber!“ (V. 16).

„Die Straße der Aufrichtigen ist, vom Bösen zu weichen, der bewahrt sein Leben, der auf seinen Weg acht hat“ (V. 17).

„Wer auf das Wort achtet, findet Gutes, und glücklich der, der dem HERRN vertraut!“ (V. 20).

„Wer weisen Herzens ist, wird ein Verständiger genannt; und Anmut der Sprache fördert das Lehren“ (V. 21).

„Eine Quelle des Lebens ist Einsicht für ihre Besitzer, aber die Züchtigung der Narren ist ihre Narrheit“ (V. 22).

„Das Herz des Weisen gibt seinem Mund Einsicht und fördert auf seinen Lippen das Lehren“ (V. 23).

Ein Narr wirft das Los, um zu einer Entscheidung zu kommen, aber wer „weisen Herzens ist“ und „ein Verständiger genannt“ wird, der ist jemand, der „auf das Wort achtet“ und „dem HERRN vertraut.“ Er geht auf der „Straße der Aufrichtigen,“ um „vom Bösen zu weichen.“ Aber selbst dann, wenn unweise Narren auf die Torheit des Würfelns zurückgreifen, werden Gottes übergeordnete Vorsätze ausgeführt werden. Mit anderen Worten, wenn törichte Menschen schlechte Entscheidungen auf eine unheilige Art und Weise treffen, indem sie zum Beispiel das Los werfen, wird das Gott schlussendlich nicht davon abhalten, seine Ziele zu erreichen. [Die übereilte Entscheidung der Apostel beispielsweise, das Los zu werfen, um Matthias als Ersatz für Judas in das Apostelamt zu berufen (Apg. 1,26), hielt Gott nicht davon ab, seinen Plan umzusetzen und den Apostel Paulus zu berufen (Gal. 1,11-12).][1]

Im gesamten 16ten Kapitel der Sprüche macht der Autor verschiedene Aussagen, die dem sehr ähnlich klingen wie das, was wir  in Vers 33 lesen, und alle weisen darauf hin, dass Gottes Ziele und Absichten erreicht werden, und zwar trotz und/oder durch die freien Willensentscheidungen der Menschen:

„Beim Menschen sind die Überlegungen des Herzens, aber vom HERRN kommt die Antwort der Zunge“ (V. 1).

„Das Herz des Menschen plant seinen Weg, aber der HERR lenkt seinen Schritt“ (V. 9). [Der Vers nimmt Bezug auf Psalm 37,23: „Vom HERRN her werden eines Mannes Schritte gefestigt, und seinen Weg hat er gern.“]

Mit diesen Abschnitten wird sowohl die menschliche Autonomie als auch Gottes Souveränität aufgerichtet. Der Mensch plant autonom, aber Gott hat die Möglichkeit, sowohl die Pläne des Menschen zu bestätigen und ihm dabei zu helfen, sie umzusetzen, als auch die Pläne des Menschen außer Kraft zu setzen und den Menschen zur Erfüllung der göttlichen Pläne zu leiten. Diese Balance zieht sich durch die ganze Schrift.

Innerhalb der uns von Gott gegebenen Freiheit könnten wir uns zwar beispielsweise entscheiden, eine uns angebotene Arbeitsstelle anzunehmen, nachdem wir den „magic eight ball“[3] unseres Kindes konsultiert haben, aber das wäre Torheit. Heißt das nun, dass Gottes Ziele und Absichten vereitelt werden könnten, wenn wir diese Arbeitsstelle aufgrund einer abergläubischen Befragung eines Kinderspielzeugs annehmen würden? Natürlich nicht. Gottes Absichten werden die Oberhand gewinnen, auch wenn wir einen unweisen Entscheidungsfindungsprozess betreiben und ihn mit einer verkürzten deterministischen Logik begründen.

Das Sprichwort meint nicht, dass unser Heiliger Gott den Ausgang von Loswürfen vorherbestimmt. Das Sprichwort lehrt uns vielmehr, dass es töricht ist, auf eine deterministisch verkürzte Logik hereinzufallen, indem man seine Entscheidungen auf abergläubische Weise vom Los abhängig macht und dabei irrtümlicherweise glaubt, Gott hätte das Ergebnis vorherbestimmt. Wenn Gott tatsächlich vorherbestimmen würde, wohin das Los fällt, dann wäre es völlig logisch, stets zu einem solchen Mittel zu greifen, um seinen Willen für das eigene Leben in Erfahrung zu bringen. Der Punkt ist nur, dass diese Art deterministischen Denkens reine Torheit ist.

Die Schrift lehrt uns, dass wir „nicht gleichförmig dieser Welt“ sein sollen, indem wir einem unreifen Aberglauben verfallen, sondern sie fordert uns auf: „werdet verwandelt durch die Erneuerung des Sinnes, dass ihr prüfen mögt, was der Wille Gottes ist: das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene“ (Röm 12,2).

Der weise Mensch trifft seine Entscheidungen nicht, indem er auf die fatalistischen Annahmen der Philosophie baut, sondern indem er betet, fastet, gottesfürchtigen Rat sucht und auf den inneren Frieden wartet, der allen Verstand übersteigt und den man nur erfährt, wenn man sich von dem innewohnenden Heiligen Geist leiten lässt.

Die Zukunft ist uns nicht bekannt, und da ist es sicherlich verständlich, dass manche von uns, wenn sie sich mit einer schwierigen Entscheidung konfrontiert sehen, vielleicht auf ungewöhnliche weltliche Mittel zurückgreifen, wie zum Beispiel: „Wenn das nächste Auto, das an mir vorbeifährt, rot ist, dann werde ich alles verkaufen und als Missionar nach Indien gehen.“ Eine Person, die tief in deterministischer Philosophie verwurzelt ist, mag es vielleicht als gerechtfertigt ansehen, dass sie ihren Ruf in den Missionsdienst ignoriert, weil Gott es so gefügt haben muss, dass jenes vorbeifahrende Auto nicht rot, sondern lindgrün war. Aber diese Art von Entscheidungsfindung ist töricht, weil sie nicht der Realität dessen entspricht, wie Gott beschlossen hat, in unserer diesseitigen Welt zu wirken.

Als zum Beispiel die Leute von Juda das heidnische Ritual der Kinderopferungen übernahmen, um Gott damit zu besänftigen, antwortete er mit folgenden Worten: „. . . weil sie diesen Ort mit dem Blut Unschuldiger angefüllt haben und die Höhen des Baal gebaut, um ihre Kinder als Brandopfer für den Baal mit Feuer zu verbrennen, was ich nicht befohlen noch geredet habe und was mir nicht in den Sinn gekommen ist“ (Jer. 19,4-5; Hervorhebung hinzugefügt). Er sagte nicht, wie das Westminster Bekenntnis nahelegt: „Die Tatsache, dass ich, dein Gott, alle zukünftigen Dinge verordnet haben muss [einschließlich Kinderopfer], ist eine Schlussfolgerung, die notwendigerweise aus [meinem] Vorherwissen, [meiner] Unabhängigkeit und [meiner] Unveränderlichkeit hervorgeht.“[4]

Wenn der theistische Determinismus von Piper wahr wäre, hätte Gott ganz sicher die Apostel inspiriert, etwas Ähnliches niederzuschreiben, wie wir es im Glaubensbekenntnis der Baptisten von 1689 vorfinden: „Gott hat, vor aller Ewigkeit, bei sich selbst, nach seinem vollkommen weisen und heiligen Ratschluss, aus seinem eigenen Willen heraus, frei und unveränderlich alle Dinge und was auch immer geschieht [einschließlich jedes bösen Verlangens, jeder Versuchung sowie der ihr nachfolgenden Sünde] angeordnet.“ Stattdessen jedoch lehrt der Apostel Jakobus: „Niemand sage, wenn er versucht wird: Ich werde von Gott versucht. Denn Gott kann nicht versucht werden vom Bösen, er selbst aber versucht niemand. Ein jeder aber wird versucht, wenn er von seiner eigenen Begierde fortgezogen und gelockt wird“ (Jak. 1,13-14; Hervorhebung hinzugefügt). Und in 1. Johannes 2,16 heißt es: „…denn alles, was in der Welt ist, die Begierde des Fleisches und die Begierde der Augen und der Hochmut des Lebens ist nicht vom Vater, sondern ist von der Welt.“

Gott ist vollkommen heilig (abgetrennt von der Sünde) und er hat „zu reine Augen, um Böses mitansehen zu können“ (Hab 1,13). Wir wissen, dass „Gott Licht ist, und gar keine Finsternis in ihm ist“ (1Joh 1,5). „Gott ist nicht ein Gott der Unordnung“ (1Kor 14,33) –das bedeutet, dass er in keinerlei Weise die Ursache des Bösen sein kann.

Manche Menschen berufen sich auf Jesaja 45,7, wenn sie zu beweisen versuchen, dass Gott alles moralisch Böse verordnet hat, aber die Textstelle sagt wörtlich, „dass es außer mir gar keinen gibt. Ich bin der HERR – und sonst keiner –, der das Licht bildet und die Finsternis schafft, der Frieden wirkt und das Unheil schafft. Ich, der HERR, bin es, der das alles wirkt.“ Mit anderen Worten, Gott plant Unheil (Naturkatastrophen, Krankheiten, etc.) als Strafe für die Übeltäter, aber er selbst ist nicht der „Vorherbestimmer“ (oder Urheber/Verursacher) des moralisch Bösen.

Gott ist ganz sicher mächtiger als alles Böse. Er kann es zerstören oder in jedem beliebigen Moment einschreiten, um die Pläne seiner bösen Geschöpfe zu vereiteln, aber er ist nicht derjenige, der das moralisch Böse entstehen lässt, verursacht, herbeiführt, hervorbringt oder in irgendeiner Weise vorherbestimmt. Genauso verhält es sich auch mit albernen Würfelspielen; Gott geht es nicht darum, zu bestimmen, wohin die Würfel fallen. Wir sollten also aufhören, wie die Gnostiker oder Stoiker zu denken und uns so verhalten, wie moralisch verantwortliche menschliche Wesen sich verhalten, die von Gott nach seinem Ebenbild erschaffen wurden. Wir sollten die Verantwortung für unsere Handlungen selbst übernehmen, denn verantwortlich zu handeln, heißt, dass man davon ausgeht, dass man tatsächlich fähig ist, eine bewusste Wahl zu treffen, wie man reagieren will (und nicht darauf baut, dass Gott die Reaktionen schon vorherbestimmt hat).

In der Tat bist du, geschätzter Leser, genau in diesem Augenblick dafür verantwortlich, wie du auf diesen Artikel reagierst. Du kannst dich jetzt auf deinem Blog oder in deinem Podcast darüber auslassen, zu welch einem unqualifizierten Theologen Gott mich vorherbestimmt hat oder du kannst demütig anerkennen, dass Gott sich einfach nicht in eine Weltanschauung pressen lässt, die vom Omni-Determinismus geprägt ist. Wie auch immer, du kannst mir nicht wirklich einen Vorwurf machen, denn ich habe den „magic eight ball“ meines achtjährigen Sohnes befragt, ob ich diesen Artikel schreiben sollte, und der hat mir gesagt: „Es wird sicher eintreten.“😊

 

Anmerkung: Der Tanakh kannte zwar die Urim und Thummim – sie waren möglicherweise Edelsteine und wurden von den antiken Israeliten benutzt, um Gottes Willen in Erfahrung zu bringen (siehe 4Mos 27,21; 1Sam 28,6; Hes 2,63; Neh 7,65) – aber der Ursprung und der tatsächliche Sinn dieser fragwürdigen Praxis des Loswerfens ist recht umstritten. Wir wissen, dass Israel im Laufe seiner Geschichte immer wieder umstrittene Praktiken hatte (einschließlich der Bigamie), und wenn solche Verhaltensweisen in der Bibel berichtet werden, heißt das noch nicht notwendigerweise, dass sie auch befürwortet werden. Während es sicherlich möglich ist, dass Gott seinen Willen damals durch übernatürliche Zeichen offenbarte (wie z.B. bei Gideon), müssen wir uns daran erinnern, dass diese Arten von Offenbarungen einzigartig waren und nicht im Allgemeinen als der normale Weg empfohlen wurden, um Gottes Absichten zu erforschen. Wir haben den innewohnenden Heiligen Geist und wir sollten sein Angesicht im Gebet, durch das Bibelstudium und durch gottesfürchtigen Rat suchen, und nicht, indem wir ein Vlies auslegen oder ein Glücksspiel ausprobieren.

Darüber hinaus kann das Werfen einer Münze oder das Werfen von Losen auch einfach für zwei „moralisch freie“ Personen ein Weg sein, wie sie in einer Streitsache zu einem Kompromiss kommen können. Das mag auch der Grund sein, warum das Werfen von Losen oft mit einem Eid assoziiert wurde (d.h. jede Partei gab das Versprechen ab, sich mit dem Resultat zufriedenzugeben, wenn die Münze geworfen worden war). Das würde auch zu der Tatsache passen, dass es sich bei diesen Fällen um Angelegenheiten handelte, die disputabel waren, und nicht um Angelegenheiten, für die jemand moralisch zur Rechenschaft gezogen werden konnte. Mit anderen Worten, es handelt sich halt nicht um ein moralisches Problem, ob ein bestimmter Nachbar dieses Grundstück am nördlichen Ufer des Flusses erhält, oder ob er jenes Stück Land südlich des Flusses bekommt. Es handelt sich um einen Konflikt zwischen zwei libertär freien Menschen, die gegensätzliche Meinungen zu einem bestimmten Problem haben. Der Konflikt kann nicht eindeutig entschieden werden und im Gesetz Gottes gibt es auch keine klaren moralischen Anweisungen zu diesem Fall. Wenn man solche Praktiken wie das Loswerfen auf die moralisch bösen Entscheidungen des Menschen anwendet, so wie John Piper das, meiner Meinung nach, tut, dann ist das aus Sicht der Hermeneutik nicht akzeptabel.

Der Vers 33 wird in The Pulpit Commentary auf eine hilfreiche Art und Weise erläutert: „Vers 33 – Das Los wird in den Schoß geworfen oder in eine Falte des Gewandes (Sprüche 6,27; Sprüche 17,23; Sprüche 21,14). Man weiß nicht genau, welche Gegenstände die Juden benutzten, wenn sie ein Gottesurteil per Los suchten. Wahrscheinlich verwendeten sie Steine, die sich in Form oder Farbe voneinander unterschieden, oder irgendwelche sonstige Markierungen trugen, nach denen man sie unterscheiden konnte.  Sie wurden in ein Gefäß oder in die Falte eines Gewandes gelegt und dann daraus hervorgezogen oder herausgeschüttelt. Eine solche Gepflogenheit hat es zu allen Zeiten und in allen Ländern gegeben; und auch, wenn sie in der mosaischen Gesetzgebung nur beiläufig erwähnt wird (4Mos 26,55), wurde das Loswerfen bei den Juden von der Zeit Josuas an, sowie in der ersten Zeit der Gemeinde praktiziert (siehe Josua 18,10; Richter 20.9; 1. Samuel 10,20; Apostelgeschichte 1,28 etc.). Da bei dieser Vorgehensweise der Einfluss des Menschen auf ein Minimum herabgesetzt wurde und jede Parteilichkeit und Manipulation ausgeschlossen werden konnte, galt das Ergebnis als etwas, das von der Vorsehung angeordnet worden war. Im Gesetz des Mose ist nur ein Fall verzeichnet, bei dem ein Zufallsverfahren als Beweismittel für ein Gerichtsurteil herangezogen wurde; dieser Fall trat bei Verdacht auf Ehebruch ein (4. Mose 5,12ff). Im Hebräerbrief ist anstelle des Loses von einem Eid die Rede: ‚… und der Eid ist ihnen zur Bestätigung ein Ende alles Widerspruchs‘ (Hebräer 16,6). Der Herr ist es, der dabei alles entscheidet. In diesen Fällen konnten die Juden erkennen, dass das, was wir Zufall nennen, der Macht Gottes untergeordnet ist. Das Loswerfen war jedoch nicht blinder Aberglaube. Der Jude fühlte sich nicht dazu berechtigt, bei jedem, noch so trivialen, Anlass auf diese Praxis zurückzugreifen, im Gegensatz zu den Menschen, die im Laufe der Geschichte Stichomantie[5] oder sogar Bibelverse benutzten, um zu einer Weissagung zu gelangen.

Im religiösen Bereich wurde das Losverfahren in Fällen eingesetzt, bei denen andere Mittel nicht angemessen oder verfügbar waren, um zu einer Entscheidung zu gelangen; es war nicht dazu gedacht, den gesunden Menschenverstand oder eine sorgfältige Untersuchung zu ersetzen; wenn aber zum Beispiel in einem Gerichtsverfahren das Beweismaterial widersprüchlich war und die Richter den Fall nicht eindeutig entscheiden konnten, wurden die zu erbringenden Leistungen [Anm. d. Übers.: z.B. Schadensersatzleistungen] durch das Los festgesetzt (vgl. Kap. 18,18). Nach der Ausgießung des Heiligen Geistes griffen die Apostel nie wieder auf eine zufallsgesteuerte Weissagung zurück und die Kirche hat sehr weise gehandelt, als sie alle Praktiken zurückwies, mit denen man auf solche Art den göttlichen Willen zu erforschen suchte. In der Septuaginta heißt es: ‚Dem Ungerechten werden alle Dinge in seinen Schoß zurückfallen, aber von dem Herrn kommen alle gerechten Dinge.‘ Das mag zweierlei bedeuten, (a) dass der Böse scheinbar blüht und gedeiht, aber dass Gott am Ende seine gerechten Ziele erreichen wird, oder (b) dass der Böse Vergeltung erfahren wird und Gottes Gerechtigkeit so zur Schau gestellt wird.“

 

[1] https://www.youtube.com/watch?v=nSSLLpVChng, Desiring God, Has God predetermined every detail in the universe, including sin?

[2] In seinem Video zu diesem Artikel vom 13.10.2020 (https://www.youtube.com/watch?v=ssPQ63xorqk&t=30s) räumt Dr. Flowers ein, dass er sich bewusst ist, dass es zu diesem Punkt verschiedene Meinungen gibt [Anm. d. Übers.].

[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Magic_8_Ball, „Der Magic 8 Ball ist ein Spielzeugartikel, der einer schwarzweißen Billardkugel (Nummer acht) ähnelt. Das Original-Spielzeug wurde in den 50er Jahren entwickelt und durch die Firma Mattel hergestellt und vertrieben. Durch einen Mechanismus im Inneren kann die Kugel zufällige Antworten auf mit „ja“ oder „nein“ beantwortbare Fragen geben.“ [Anm. d. Übers.]

[4] https://reformed.org/documents/shaw/index.html?mainframe=/documents/shaw/shaw_03.html

[5]  https://de.wikipedia.org/wiki/Stichomantie „Die Stichomantie oder Bibliomantie (auch Bibliomantik) ist eine Form der Wahrsagung mittels Texten. Oft werden dafür Werke benutzt, die als heilig oder jedenfalls besonders bedeutend gelten, etwa die Ilias, die Bibel oder das I Ging. Im Iran ist hierfür das Werk des Dichters Hafis sehr populär. Der Wahrsager formuliert eine Frage, die er nicht selbst beantworten kann. Dann wählt er eines der genannten Bücher oder ein beliebiges anderes, schlägt es auf oder sticht mit einem spitzen Gegenstand irgendwo intuitiv in eine Buchseite und deutet die Textstelle an dieser Position als Antwort. Er versucht mit dieser Methode etwas über eigene oder „fremde“ Verhaltensweisen, über künftige Bestimmungen und Möglichkeiten zu erfahren. Die Bibliomantie war bereits in der Antike bekannt. Oft wurden dafür Texte von Homer und Vergil benutzt. Im Lateinischen sprach man von sortes homericae bzw. sortes vergilianae. Mit dem Aufkommen des Christentums lebten diese Weissagungspraktiken auf Basis der Bibel (sortes Sanctorum) fort. Dies ist sowohl für den Kirchenvater Augustinus als auch für Franz von Assisi überliefert.“ [Anm. d. Übers.]