13. Mai 2021

Es ist noch nicht lange her, dass New Age Begriffe sichere Kennzeichen für die New Age/metaphysische Orientierung einer Person waren. Solche Begriffe findet man heute in Büchern wie Ich bin bei Dir – 366 Liebesbriefe von Jesus (Jesus Calling).1  Warren B. Smith

Im Alten Testament wird uns eine Geschichte erzählt, die sich während der vierzigjährigen Wüstenwanderung des Volkes Israel ereignete – und von der Paulus sagt: „Alle diese Dinge aber, die jenen widerfuhren, sind Vorbilder, und sie wurden zur Warnung für uns aufgeschrieben, auf die das Ende der Weltzeiten gekommen ist“ (1Kor 10,11). Es handelt sich um den Bericht über das Manna, das die Israeliten aus dem Himmel empfingen, um ihren Hunger zu stillen. Im Namen des Herrn gebot Mose dem Volk, vom Manna zu sammeln, soviel sie zum Essen brauchten. Doch die Geschichte zeigt, wie oft die Herzen von Gottes Volk auf eigene Wege sinnen. „Aber sie gehorchten Mose nicht; denn etliche ließen davon übrig bis zum Morgen. Da wuchsen Würmer darin, und es wurde stinkend. Und Mose wurde zornig über sie“ (2Mo 16,20). Die Israeliten wollten mehr, sie gaben sich nicht zufrieden mit dem, was Gott ihnen geschenkt hatte – und es wurde stinkend.

Der HERR selbst tadelte Mose: „Wie lange weigert ihr euch, meine Gebote und meine Anweisungen zu halten?“ (2Mo 16,28). Gott hatte den Israeliten alles gegeben, was sie bedurften, doch ihr rebellisches Herz trachtete nach mehr. Wann immer Menschen oder Bewegungen im Lauf der Kirchengeschichte mehr wollten, dauerte es nicht lange, bis sich durch diese Menschen oder Bewegungen ein übler Geruch verbreitete. Wann immer Menschen oder Bewegungen mehr als das geschriebene Wort wollten, zeigten sich sehr bald die Auswüchse und Verirrungen in Lehre und Handeln. Es ist alleine Gottes Gnade, dass er diejenigen, die sich – gleich dem Volk Israel – nicht an seine Gebote und Anweisungen halten, in seiner barmherzigen Langmut nicht dem Gericht preisgibt – zumindest vorerst. Am Preisrichterstuhl Christi wird letztlich doch alles Handeln und die Motive des Herzens aufgedeckt, gerichtet und belohnt oder auch nicht belohnt werden. Wohl dem, der einmal vollen Lohn empfangen wird. „Seht euch vor, dass wir nicht verlieren, was wir erarbeitet haben, sondern vollen Lohn empfangen!“ (2Jo 8).

Die Montanisten des 3. Jahrhunderts, die Quäker des 17. Jahrhunderts, die Irvingianer des 19. Jahrhunderts, die Pfingstler und die Charismatiker des 20. Jahrhunderts sind nur einige jener Gruppierungen, die mehr wollten. Sie gaben sich mit der Allgenügsamkeit der Heiligen Schrift nicht zufrieden, sie wollten mehr und glaubten in ihrer Verblendung, dass Offenbarungen über die Heilige Schrift hinaus ihnen größere Vollmacht und Herrlichkeit in diesem Erdendasein erschließen könnten. Doch wie es beim Volk Israel war, so verhielt es sich mit all jenen, die sich nicht unter Gottes Wort beugten. Schon vom ersten Tag an begann zu stinken, was diese besonders „Bevollmächtigten“ oder „Geistbegabten“ in die frommen Krüge ihrer menschengemachten Religion sammelten.

Die Montanisten, so benannt nach ihrem Führer Montanus, waren eine schwärmerische Bewegung des 3. Jahrhunderts, die das nahende Ende prophezeite. Montanus glaubte, Prophet des Herrn und der endzeitliche Paraklet, die Inkarnation des Heiligen Geistes, aus Johannes 14,16 zu sein. In Pepuza in Phrygien sollte nicht nur das neue Jerusalem vom Himmel herabkommen, sondern auch das Tausendjährige Reich noch zu seinen Lebzeiten anbrechen. An der Seite des Montanus dienten die beiden Prophetinnen Priska (Priskilla) und Maximilla. Sie hatten ihre Ehemänner verlassen, weil Montanus seine Jünger und Jüngerinnen ermutigte, in diesen letzten Tagen Ehelosigkeit zu praktizieren. Priska, die glaubte, Christus sei ihr in weiblicher Form erschienen, verstarb allerdings, ohne dass sie die Erfüllung der Prophetien des Montanus erlebte. Maximilla führte die Bewegung nach dem Tod von Priska und Montanus weiter.

Als aber auch Maximilla im Jahre 179 nach Christus verstarb, ohne dass das neue Jerusalem und das Tausendjährige Reich gekommen waren, trat unter den Montanisten nicht etwa Ernüchterung ein. Statt einer Besinnung auf die Schrift und ein Hinterfragen der falschen Prophetien, statt wahrer Buße und Demütigung unter den Gehorsam Christi, orientierte sich die montanistische Bewegung neu und dehnte sich nach Syrien und Thrazien aus und erreichte sogar Nordafrika und Südfrankreich. Trotz einer falschen Prophetie und einer Endzeitlehre folgten viele Verführte den montanistischen Lehren über weitere Jahrhunderte. Letzte Zeugnisse von Montanisten finden sich bis ins 6. Jahrhundert nach Christus in Kleinasien.

George Fox (1624-1691) war einer der Gründerväter der Religiösen Gesellschaft der Freunde, auch als Quäker bekannt. Im streng puritanischen Glauben erzogen, hatte er bereits im Alter von 19 Jahren mystische Offenbarungen. Quäker wird von dem Englischen quaker, Zitterer, abgeleitet. Die These, dass es sich hierbei um eine ursprünglich spöttische Bezeichnung der Gegner für die Anhänger von Fox handelte, da es in ihren Versammlungen zu Konvulsionen (Schüttelkrämpfen) gekommen sei, wird von manchen angezweifelt. Möglicherweise erhielten die Quäker ihren Namen, weil sie das endzeitliche Gericht verkündeten und ihre Zuhörer dazu aufriefen, vor dem nahenden Gericht Gottes zu zittern. Quäker betonten die Führung durch das „innere Licht“ sowie durch persönliche „Offenbarungen“. Die Gottesdienste der Quäker unterschieden sich von traditionellen Gottesdiensten darin, dass sie spontane, „vom Geist geführte“ Redebeiträge zuließen und Zeiten der Stille in ihren Versammlungen pflegten. Quäker lehnten äußere Formen oder Traditionen ab. Sie konnten sich durchaus versammeln und nach einer Stunde des Schweigens wieder auseinandergehen.

Die Führung durch das innere Licht hatte für Quäker größere Autorität als die Führung durch Gottes Wort. Dies konnte zu recht ungewöhnlichen Handlungen führen. Ronald Knox schreibt über die befremdliche Praxis des „Nacktgehens“ der ersten Quäker: „Ihre sensationellste und nicht erbaulichste Weise, kommende Gerichte anzukündigen, bestand darin, dass sie splitternackt durch die Straßen liefen … Dass Fox und die anderen Leiter das ‚Nacktgehen‘ anderen zum Zeichen nicht verurteilt haben, zeigt uns, wie sehr das innere Licht ihnen oberstes Gesetz war“.2 Fox lehrte, dass man schon auf Erden ein sündloses Leben erreichen könne. Einige moderne Quäker-Strömungen vertreten einen unitarischen Universalismus. Diese Auffassung lehnt die christliche Trinitätslehre ab und ist von der Überzeugung geprägt, dass alle Menschen erlöst werden (Allversöhnung).

Das Schottland der 1830er Jahre erlebte eine „Erweckung“, mit der auch Edward Irving (1792-1834) und der Anglikaner John Cardale (1802-1877) in Kontakt kamen. Cardale wurde aus der anglikanischen Kirche ausgeschlossen und im Jahre 1832 als erster „Apostel“ in der katholisch-apostolischen Bewegung berufen, aus der später durch Spaltung die Neuapostolische Kirche hervorging (heute mit über 300000 Mitgliedern drittstärkste Einzelkirche in Deutschland).

Irving, Mitglied der schottischen Nationalkirche und Prediger in London, förderte die Praxis der Geistesgaben (Prophetie und Zungenrede) in seinen öffentlichen Gottesdiensten, was 1832 dazu führte, dass das Londoner Presbyterium entschied, Irving von seinem Predigtdienst zu suspendieren. Daraufhin sammelte Irving etwa 800 Nachfolger um sich und hielt eigene Gottesdienste ab. Weil Christus durch den Geist sündlos leben konnte, wäre jeder Christ gleichermaßen zu einem sündlosen Leben fähig, so die Irrlehre Irvings – eine Lehre, die später auch der deutsche Pfingstler Jonathan Paul (1853-1931) vertrat. Er war sich gewiss, dass eine große Geistesausgießung unmittelbar bevorstünde und das Ende der Welt nahe sei. Im Jahre 1833 wurde er endgültig aus der schottischen Nationalkirche ausgeschlossen.

Robert Baxter (1802-1899) war einer der Propheten, die an der Seite Irvings dienten. Nach Baxter sollte es vom 14. Januar 1832 noch 1260 Tage (also bis zum 14. Juli 1835) dauern, bis Gott 12 Apostel berufen werde, deren Mission es sei, die nahe Wiederkunft Christi zu verkünden. Den genauen Zeitpunkt der Wiederkunft Christi ließ er allerdings offen. Sehr früh, bereits am 5. Mai 1832, erkannte Baxter seine Verirrung und wandte sich von der Gemeinschaft ab. Edward Irving verstarb am 8. Dezember 1834, gerade einmal 42 Jahre alt und noch ehe die dreieinhalb Jahre (1260 Tage) der Prophetie Baxters vorüber waren. Wenngleich viele Historiker Edward Irving nicht als Gründer der katholisch-apostolischen Gemeinden ansehen, so kann er zumindest als einer ihrer Wegbereiter und Vorläufer gelten.

Die Wurzeln der Pfingstbewegung lassen sich auf das ausgehende 19. Jahrhundert zurückverfolgen. Die Geburtsstunde der Pfingstbewegung datiert man im Allgemeinen auf das Jahr 1906. Von der Azusa Street in Los Angeles, wo William J. Seymour die Botschaft der „Geistestaufe“ und des „Zungenredens“ verkündigte, breitete sich die Pfingstbewegung rasant weltweit aus und erreichte rasch den deutschsprachigen Raum. Johannes Seitz (1839-1922), einer der Führer der Gemeinschaftsbewegung in Deutschland sowie ein Mitunterzeichner der Berliner Erklärung, schrieb in jener turbulenten Zeit:

„Der Heilige Geist kann nicht ohne uns das ihm vom Sohn aufgetragene Werk hinausführen, er bedient sich der Menschen, die ihr Leben darangegeben haben, die sich zum Ekel geworden sind. In solchen hat er eine Stätte gefunden, und hier wird es ihm gelingen, den Auftrag Jesu hinauszuführen. Der Geist hat keinen Leib, weil er Geist und nicht Mensch ist. Aber er braucht einen Leib, und das ist der Leib Jesu, seine Gemeinde, wo er Christus in denen verklärt, die ihm Augenblick für Augenblick gehorchen. Die Kraft des Heiligen Geistes bekommt man, um schweigen, leiden, Todes- und Verleugnungswege gehen zu können. Wer so dem Heiligen Geist Raum macht und mit sich bis auf den tiefsten Grund seiner Gedanken geschieden bleibt, der erfährt das Wort in Jesaja (10,27): Das Joch soll verfaulen vor seinem Fett, das Joch der Last des eigenen Lebens zersprengt vor dem Fett des Heiligen Geistes.“3

Seitz war sich bewusst, dass hinter allem „Seelischen auch das Teuflische stehen“ konnte und dass man sich nicht „an den Gefühlen, sondern an Christus freuen“ soll.

Die Charismatik der 1960er Jahre war ein ökumenisches Phänomen. Sowohl in den beiden großen Volkskirchen, der katholischen und der protestantischen, als auch in protestantischen Denominationen (Methodismus, Baptismus, u. a.) machten sich die frommen Schäflein, die nicht ohnehin schon in die Pfingstbewegung abgewandert waren, auf, um „mehr Manna“ in ihre Krüge zu sammeln. Gottes Wort alleine konnte ihren geistlichen Hunger vermeintlich nicht mehr stillen – sie wollen mehr. Und sie empfingen, was sie wollten, ganz nach dem Wort des Herrn: „Da gab ich sie dahin in die Verstocktheit ihres Herzens, dass sie wandelten nach ihrem eigenen Rat“ (Ps 81,13). Katholiken beteten Maria in Zungen an, und Protestanten glaubten, dass die neu erlebte „Geistestaufe“ und das „Zungenreden“ endlich die Einheit des Leibes wiederherstellen oder gar die Wiederkunft Christi herbeiführen könne.

Leider herrscht unter Gottes Volk große Unkenntnis über die Entwicklungen der Charismatik in den letzten Jahrzehnten. Die Grenzüberschreitungen von Extrem-Charismatikern zum Okkultismus hin sind selbst moderaten Pfingstlern und Charismatikern nicht verborgen geblieben. Die Exzesse und vor allem die lehrmäßigen Verirrungen sollten mehr als ein Wink mit dem Zaunpfahl sein, dass es sich bei dem Wirken dieses Geistes nicht um den Heiligen Geist handelt. Damit soll niemandem pauschal die Gotteskindschaft abgesprochen werden. Gleich den Korinthern der Urgemeinde gilt für diese Geschwister: „Denn wenn einer zu euch kommt und einen andern Jesus predigt, den wir nicht gepredigt haben, oder ihr einen andern Geist empfangt, den ihr nicht empfangen habt, oder ein anderes Evangelium, das ihr nicht angenommen habt, so ertragt ihr das recht gern!“ (2Kor 11,4). Man kann ein Gotteskind sein – Paulus bezeichnet die Korinther sogar als „berufene Heilige“ – und doch kann ein wiedergeborener Christ „einen anderen Geist“ empfangen.

Die geistliche Frucht in Lehre und Handeln mag in moderaten Kreisen noch erkennbar sein, doch der überwiegende Teil der modernen Charismatik befindet sich in einem erbärmlichen Zustand – das Manna des fleischlich-religiösen Treibens ist stinkend geworden. John MacArthur sagte in einem Interview anlässlich der Strange Fire Konferenz 2013 (Fremdes Feuer Konferenz) zu Recht:

„Ich denke, das Problem ist um vieles größer als viele meinen. Und es bricht mein Herz, dass Hunderte von Millionen von Seelen in eine Bewegung geraten, in der sie durch ein falsches Evangelium verführt werden. Aus diesem Grund wollte ich eine so deutliche Warnung ausrufen.“4

Montanus, George Fox, Edward Irving, William J. Seymour und viele andere reihen sich in die lange Liste von Personen ein, die mehr wollten. Dieses Anliegen, mehr von Gott haben zu wollen, ist nur solange gut und recht in den Augen Gottes, solange Menschen sich an Gottes Gebote halten. Wer mehr von Gott will, soll es auf die Weise erhalten, wie Gott es vorgesehen hat: durch das lebendige Wort Gottes. Wer sich mit dem allgenügsamen, klaren und kraftvollen Wort nicht zufrieden gibt und darüber hinaus besondere und neue „Offenbarungen“ oder ein „Wirken des Geistes“ außerhalb der Schrift sucht, gleicht den Israeliten, die sich mit der ihnen von Gott zugeteilten Menge an Manna nicht zufrieden geben wollten. Sie wollten ihren Hunger mit dem stillen, was über Gottes Gebot und Ordnungen hinausging – und was sie aus eigener fleischlicher Seelenkraft sammelten, begann zu stinken.

Nun erschien in der christlichen Bücherszene eine Autorin, die sich, gleich vieler anderer Personen aus der Vergangenheit, dem Empfinden hingab, Gottes Wort sei für ihren geistlichen Wandel zu wenig. Sarah Young schildert in ihrem Buch Jesus Calling (Ich bin bei dir – 366 Liebesbriefe von Jesus5) aus dem Jahre 2004, wie sie dazu inspiriert wurde, ihr Buch zu schreiben: „… ich begann mich zu fragen, ob auch ich Botschaften empfangen könnte in den Zeiten, in denen ich mit Gott Gemeinschaft habe. Ich führte seit Jahren Gebetstagebücher, aber dies war eine einseitige Kommunikation: Ich übernahm alles Sprechen. Ich wusste, dass Gott durch die Bibel mit mir kommunizierte, aber ich sehnte mich nach mehr. In zunehmendem Maße wollte ich hören, was Gott mir von Tag zu Tag persönlich zu sagen hatte. Ich entschloss mich, mit einem Stift in der Hand auf Gott zu hören und schrieb alles nieder, von dem ich glaubte, dass Er zu mir sprach.“6

John MacArthur widmet in seinem Buch Fremdes Feuer,7 das sich vorrangig mit der charismatischen Bewegung auseinandersetzt, einen Abschnitt dem Thema „Das unfehlbare Wort“. Obgleich Sarah Young der Presbyterianischen Kirche der USA angehört und damit nicht dem Mainstream der Charismatik zuzuordnen ist, ging MacArthur in diesem Abschnitt auf die US-amerikanische Bestsellerautorin Sarah Young ein – und das mit gutem Grund. Aus dem Inhalt ihrer Publikationen geht sehr wohl hervor, dass sie in ihrer Grundhaltung zur Schrift vieles mit Pfingstlern und Charismatikern gemeinsam hat. John MacArthur führt aus:

„Es überrascht daher nicht, dass man überall dort, wo man sich vorwiegend mit ‚neuen‘ Offenbarungen beschäftigt, ausnahmslos in gleichem Maße die Bibel vernachlässigt. Warum schließlich sollte man sich über ein altertümliches Buch Gedanken machen, wenn der lebendige Gott mit uns direkt kommuniziert, und das täglich? Diese neuen ‚Offenbarungen‘ scheinen natürlich relevanter und dringlicher zu sein als die altbekannten Worte der Bibel.“

Sarah Young ist die Autorin des Bestsellers Ich bin bei dir (engl. Originaltitel: Jesus Calling), eine Sammlung von Kurzandachten, die sie angeblich direkt von Christus selbst empfangen hat. Das ganze Buch ist in direkter Rede verfasst, als ob Jesus durch den menschlichen Verfasser direkt zum Leser spräche. Tatsächlich beansprucht Sarah Young für ihr Buch genau diese Autorität. Sie sagt, Jesus habe ihr die Worte gegeben und sie sei nur eine ‚Zuhörerin‘. Sie gibt zu, dass ihre Suche nach außerbiblischen Offenbarungen mit dem quälenden Gefühl begann, dass die Bibel einfach nicht genüge… Wen wundert es da, dass eine solche Einstellung Menschen von der Bibel wegzieht?

Genau aus diesem Grund ist es so gefährlich, dass heutige Evangelikale ganz versessen auf außerbiblische Offenbarungen sind. Sie kehren gewissermaßen zu einem mittelalterlichen Aberglauben zurück und geben unsere grundlegende Überzeugung auf, dass die Bibel der einzige, höchste und hinreichende Maßstab für unser ganzes Leben ist. Dies aber bedeutet, das reformatorische Prinzip des Sola Scriptura vollständig aufzugeben.“8

Aber nicht nur der evangelikale Pastor und Autor John MacArthur erkennt die Verführungslinien, die von Sarah Youngs Buch ausgehen. Auch die ehemalige Esoterikerin Elke Kamphuis, die eine entscheidende Lebenswende erlebte und heute Christin ist, kennt aus ihrer Zeit als ehemalige Esoterikerin viele der Praktiken, die Sarah Young in ihrem Buch anpreist. Sie schreibt über Sarah Youngs Buch Ich bin bei Dir und deren Empfehlung der Visualisierung:

„Allerspätestens hier sollte der Leser wach werden. Das Visualisieren, wie Sarah Young es während des Gebets praktizierte, gehört zu den Praktiken des Schamanismus und der Esoterik, in denen man versucht die sichtbare, vor allem aber die unsichtbare Welt gemäß den eigenen, inneren Bildern wirksam werden zu lassen.“

Da ich selber etwa zehn Jahre in der Esoterik war, kenne ich die Wirkung solcher Methoden. Sie vermitteln ein Gefühl des realen Erlebens, fördern den Gedanken Verfügungsrecht über Gottes Wirken zu haben um mehr auslösen und erfahren zu können als bisher. Diese Verlockung bringt eine zunehmende Öffnung für den Einfluss einer (Ver-)Führung aus der unsichtbaren Welt mit sich. Die Bibel gibt kein einziges Mal eine Anweisung darüber, uns Gott, seinen Schutz oder seine Heilung, in irgendeiner Form vorzustellen. Mit einer derartigen Methode meinen Christen, die Kluft zwischen Glauben und Schauen überwinden zu können. Sie fühlen sich in Sicherheit, weil sie sich auf Gott oder Jesus Christus ausrichten und ahnen nicht, dass auch Satan – wie es Paulus in 2Korinther 11,3 beschreibt – über unsere Gedanken wirken kann und will, um uns von der Einfalt und Lauterkeit gegenüber Christus abzuwenden.

Dieses letzte – von Young beschriebene Erlebnis (Ich würde es als eine Initiation bezeichnen) – gibt den Durchbruch zu einer medialen Tätigkeit, die sie das Hören Gottes nennt.“9

Ehemalige Esoteriker und Anhänger des New Age haben für den New Age Sauerteig, der im Grunde eine Form der Mystik ist und neben der „christlichen“ Mystik, vor allem katholischer Prägung, immer weiter um sich greift, eine sehr feine geistliche Antenne. Wo es anderen Christen an Unterscheidungsvermögen mangelt – Ursache hierfür ist leider ein Mangel an Erkenntnis der Wahrheit des Wortes Gottes –, erkennen sie augenblicklich, wessen Geistes Kind jene Autoren sind, die neue Formen des Erlebens der Gegenwart „Gottes“ propagieren. Warren B. Smith, ein ehemaliger Vertreter des New Age, hat im Jahre 2013 sein Buch „Another Jesus“ Calling (Anrufung eines „anderen Jesus“) veröffentlicht.

Smith schreibt:

„Noch vor nicht allzu langer Zeit waren New Age Begriffe wie letztgültige Realität, universale Gegenwart, Liebe-Licht, Lichtträger, übernatürliche Ebene, lebendiger Kanal, göttliche Alchemie, Mit-Schöpfer, Paradigmenwandel und wahres Selbst klare Anzeichen für die New Age/metaphysische Orientierung einer Person. Auf alle diese Begriffe trifft man nun in Büchern wie Ich bin bei Dir und schnell werden diese in die Umgangssprache der Gemeinde aufgenommen. In Sarah Youngs Buch Jesus Today bezieht sie sich auf ihren ‚Jesus‘ als ‚unendliche Intelligenz‘… In der Sprache des New Age bezieht sich ‚unendliche Intelligenz‘ auf Gott ‚in‘ allen Dingen und allen Menschen. Tatsächlich bezeichnet das New Age Medium [auch ‚Channel‘ genannt: Medium, das Botschaften aus dem Jenseits empfängt] Esther Hicks ihren Geistführer Abraham als ‚unendliche Intelligenz‘. In dem Maße, wie die Gemeinde in zunehmendem Maße die Sprache des New Age übernimmt und auch die Praktiken und Methoden des New Age akzeptiert, kommt es zu Kompromissen mit unserem geistlichen Glaubensgut. Der Glaube wird verwässert und vermischt sich mühelos mit einer Welt, in welcher New Age Auffassungen bereits normal sind.“10

Dass dieser „andere Geist“ (2Kor 11,4) – der den Verführten einen „anderen Jesus“ vor Augen malt – sich zwar sehr fromm tarnen kann, wird den schriftkundigen wahren Nachfolger Jesu dennoch nicht täuschen können. Subtil wird der Leser von Youngs Buch Ich bin bei dir „mit überredenden Worten“ (Kol 1,4), die einen Schein christlicher Wahrheit zu haben scheinen, nicht nur von Jesus, sondern auch von Gottes Wort weggeführt. Über die These Youngs, dass „Jesus“ Abraham von seiner „Sohn-Anbetung“ Isaaks befreien wollte – „Ich verabscheue Götzendienst, selbst in Form der elterlichen Liebe“, so Youngs eigene Worte – schreibt Smith treffend: „Dieser Bericht von ‚Jesus‘ in dem Buch Ich bin bei dir ist so bizarr wie unbiblisch. Abraham, mit dem Gott seinen Bund schloss, machte sich nicht schuldig, seinen Sohn Isaak anzubeten, und er war kein Götzendiener. Im Gegenteil, er zeigte tiefen Glauben an und Gehorsam gegenüber Gott in seinem Leben und seinem Handeln [siehe Hebr 11,17].“11

Hier zeigt sich deutlich, wie ein „anderer Geist“ zu einem „anderen Jesus“ und letztendlich zu einem „anderen Evangelium“ führt. Abraham liebte Isaak, aber er betete ihn nicht an; und, wie die biblische Geschichte deutlich macht, hatte sich Abraham nicht des Götzendienstes in Form von elterlicher Liebe schuldig gemacht, denn sonst hätte er sich nicht früh aufgemacht, den Willen Gottes zu tun (1Mo 22,3). Abraham, der Vater des Glaubens, war kein Götzendiener, sondern ein Gottesdiener und ein Vorbild aller Gläubigen.

Sarah Young gebraucht das Wort Anathema (Fluch) im Zusammenhang mit Sorgen: „Sorge ist eine Form des Unglaubens; für mich ist es Anathema.“12 Ursprünglich bedeutete Anathema Verfluchung oder Kirchenbann. Paulus verwendet dieses Wort in Galater 1,9: „Wie wir eben gesagt haben, so sage ich abermals: Wenn jemand euch ein Evangelium predigt, anders als ihr es empfangen habt, der sei verflucht (ἀνάθεμα).“ Smiths Warnung sollte man nicht leichtfertig übergehen: „Vor 2000 Jahren warnte der wahre Jesus vor falschen Christussen und falschen Lehren, die in seinem Namen kommen würden, um selbst die Auserwählten zu verführen. 2000 Jahre später spricht ein anderer ‚Jesus‘ in Ich bin bei dir, der von sich sagt, ‚ich bin vollkommen vertrauenswürdig‘, über all dies keine Warnungen mehr aus. Das ist das eigentliche Anathema.“13

 

Anmerkungen

1 Warren B. Smith, „Another Jesus“ Calling, Lighthouse Trails Publishing, Eureka, Montana, 2013, S.116.

2 Roland A. Knox: Christliches Schwärmertum – Ein Beitrag zur Religionsgeschichte, Jakob Hegner Verlag, Köln Olten, 1957. S.144.

3 Johannes Seitz, Erinnerungen und Erfahrungen, Verlag der Liebenzeller Mission, 5. Auflage 2004, S.125.

4 John MacArthur answers his critics. Challies.com: 4. November 2013.

URL: http://www.challies.com/interviews/john-macarthur-answers-his-critics.

5 Sarah Youngs beide Bücher Dear Jesus (Komm zu mir: Briefwechsel mit Jesus) und Jesus Calling (Ich bin bei dir – 366 Liebesbriefe von Jesus) wurden von Gerth Medien ins Deutsche übersetzt und herausgegeben.

6 Sarah Young, Jesus Calling: Enjoying Peace in His Presence, Thomas Nelson, Nashville, 2004, S. XI-XII. Zitiert aus: Warren B. Smith, “Another Jesus” Calling, S.53.

7 John MacArthur, Fremdes Feuer – Der Heilige Geist – Wahrheit, Irrtum und Gefahren, Betanien Verlag, 2014.

8 Ebd., Vorabauszug ohne Seitenangabe durch den Betanien Verlag.

9 Elke Kamphuis, Stellungnahme zu dem Andachtsbuch von Sarah Young: “Ich bin bei Dir – 366 Liebesbriefe von Jesus”. URL: http://www.gemeindenetzwerk.org/?p=9137.

10 Warren B. Smith, „Another Jesus“ Calling, S.116.

11 Ebd., S.76-77.

12 Ebd., S.117.

13 Ebd., S.118.

 

Hinweis: Warren B. Smith, Ein anderer Jesus: 20 Gründe, die gegen Sarah Youngs Bestseller „Ich bin bei Dir“ sprechen ist bei CMV Hagedorn als Broschüre erhältlich

(URL: https://cmv-duesseldorf.de/produkt/ein-anderer-jesus/)