„… deshalb gefiel es Gott, dem Schöpfer und Regierer des Weltalls, daß nur jener Teil der Engel, der sich ins Verderben gestürzt hatte, auch im ewigen Verderben verbleiben sollte, während sich der andere Teil, der trotz des Abfalles der übrigen Engel treu bei Gott ausgeharrt hatte, seiner immer dauernden Glückseligkeit in voller Gewißheit erfreuen sollte. Alle übrigen vernunftbegabten Geschöpfe dagegen, nämlich die Menschen, die ganz in das ererbte und eigene Sündenverderben verwickelt waren, sollten, soviel es auf Gott ankam, wieder in Gnaden aufgenommen werden und sollten einen Ersatz bilden für den Verlust, den die Gesellschaft der Engel durch den Sturz der Teufel erlitten hatte. Denn so ist es den wieder zum Leben erstehenden Heiligen verheißen, sie sollten den Engeln Gottes gleich sein (vgl. Mt 22,30 u. Luk 20,36).“ Hevorh. durch W.P.
Quelle: Augustinus (354-430)
Enchiridion oder Buch vom Glauben, von der Hoffnung und von der Liebe (De fide, spe et caritate), Kapitel 9, Seite 20
Kommentar von W. Plock:
Augustin hat etliche Jahre bei der Sekte der Manichäer verbracht. Mani lehrte, dass Gott die Zahl der gefallenen Engel durch die exakte Zahl erwählter Menschen ersetzen wollte. Genauso diese Sicht übernahm Augustin. Auf diese Weise kam der Gedanke einer „individuellen“ Erwählung Einzelner in die Christenheit.
Die Bibel lehrt hingegen, dass Gott die Gemeinde als Ganzes (korporativ) IN CHRISTUS zu bestimmten geistlichen Segnungen erwählt hat (Eph 1,3-14). Gott hat nicht einzelne Menschen IN DEN CHRISTUS HINEIN erwählt.
Sobald man von einer individuellen Erwählung zum Heil ausgeht, gerät man unweigerlich in ein Dilemma:
A. Entweder man muss (wie Calvin) glauben, dass Gott den anderen Teil der Menschen zur Hölle erwählt hat (doppelte Prädestination) oder
B. Man entscheidet sich für die mildere Variante. Dann spricht man von der individuellen Erwählung Gottes zum Heil auf der einen Seite – und von der (Schein)Verantwortung des Menschen auf der anderen Seite.
Denn welche Verantwortung hat ein Mensch, der nicht vor Grundlegung der Welt zum individuellen Heil von Gott erwählt wurde? Können auch Nichterwählte in den Himmel kommen?
Genau an dieser Stelle brechen die Vertreter der calvinistischen Sichtweise jedes Mal die Diskussion ab. Warum? Weil sie diese Frage nicht beantworten können.
Bei dieser Lehrkonstruktion handelt es sich nicht um ein Paradoxon, sondern um einen echten Widerspruch. Es gibt paradoxe (oder komplementäre) Wahrheiten in der Bibel – aber nicht hier! Da darf man nicht mit dem (Schein)Argument kommen, dass wir Menschen eben mit unserer Logik nicht alles verstehen könnten oder dass die Bibel hier eine Art „Meta-Logik“ verwenden würde.
Auch John Lennox führt diese widersprüchliche Sichtweise in seinem äußerst lesenswerten Buch „Vorher bestimmt?“ (CV Dillenburg, 2019) ad absurdum (z.B. S. 292).
Das Evangelium der Bibel ist so schlicht, dass es auch Ungebildete verstehen können. Es wäre besser, wenn die Vertreter der Sichtweise Augustins diese widersprüchliche Lehre über Bord werfen würden.
Wilfried Plock