Ist Buße und Glaube eine Gabe Gottes? – Teil 2

Laurence M. Vance

Die Wahrheit der Schrift, die gegen die Interpretation der Calvinisten spricht, der „Glaube sei eine Gabe Gottes,“ kann aus der griechischen Grammatik ermittelt werden.[1] Da der Sachverhalt so offenkundig der calvinistischen Lehre widerspricht, sind ehrliche Calvinisten gezwungen, anzuerkennen, dass das Demonstrativpronomen „das“ in Epheser 2,8 im Neutrum steht, während das Wort „Glaube“ feminin ist; dies hindert sie jedoch nicht daran, trotzdem eine Verbindung herzustellen.[2] Dass sich das Demonstrativpronomen im Neutrum auf die gesamte Heilsaneignung durch Gnade bezieht, geht aus der ähnlichen Verwendung des Pronomens in einer Reihe anderer Textstellen hervor:

… sondern ein Bruder führt Rechtsstreit mit dem anderen, und das vor Ungläubigen! 1Korinther 6,6

Stattdessen übt ihr Unrecht und übervorteilt, und dies gegenüber Brüdern! 1Korinther 6,8

In diesen beiden Versen weist die Verwendung des Pronomens „das“ oder „dies“ Parallelen zu Epheser 2,8 auf. Kenntnis der griechischen Grammatik ist nicht einmal notwendig. Die Schrift legt sich selbst aus.

Als weitere Zeugen für die Wahrheit der Schrift können einige der respektiertesten Calvinisten angeführt werden, die in diesem Zusammenhang ausdrücklich die Interpretation verneinen, dass „der Glaube eine Gabe“ sei. Der niederländische Reformierte Homer Hoeksema bestätigt, dass hier die „gesamthafte Vorstellung von Errettung durch Gnade aus Glauben“ im Blick ist.[3] Der „eiserne Schüler Augustins und Calvins“[4] F. F. Bruce räumt ein, dass „es wahrscheinlich am besten ist, ,und das‘ auf die Errettung als Ganzes zu beziehen, indem der Glaube, durch den die Errettung empfangen wird, nicht ausgeklammert wird.“[5] Doch der bedeutendste Zeuge gegen die Calvinisten ist Calvin selbst: „Paulus will nämlich nicht bloß sagen, dass der Glaube Gottes Gabe ist, wie man gewöhnlich den Satz (V. 8) versteht. Vielmehr bezieht sich der Ausdruck auf den gesamten Gedanken: das Heil ist durch und durch Gottes Geschenk und Gabe.“[6] In dieser Hinsicht unterscheidet sich Calvin richtigerweise von Augustin, der seine ursprüngliche Auffassung verwarf und aus dem Glauben eine unwiderstehliche Gabe Gottes machte, die dem Erwählten gegeben wird.[7]

Aber nehmen wir einmal an, dass der Glaube „Gottes Gabe ist, die Gott seinem erwählten Volk aus Gnaden zuteilt,“[8] was beweist dies? Den „Glauben“ in Epheser 2,8 in dieser Weise zu verstehen beweist im Grunde sehr wenig. Würde man der calvinistischen Interpretation von Epheser 2,8, der „Glaube sei eine Gabe,“ folgen, dann sind es mehrere Aspekte, die dieser Text nicht aussagt und die die Calvinisten in ihn hineinlesen müssen. Wenn der Glaube eine Gabe ist, dann bedeutet dies (1) nicht, dass nur die Erretteten glauben können, (2) es wird nicht gesagt, welche Bedingungen es sind, damit der Glaube empfangen werden kann, (3) es bedeutet nicht, dass ein Mensch errettet wird, wenn ihm der Glaube gegeben wird, und (4) es bedeutet nicht, dass es sich um eine unwiderstehliche Gabe handelt.

Der eigentliche Grund, den Glauben zu einer unwiderstehlichen Gabe Gottes zu machen, ist das falsche Verständnis, das aus dem Glauben ein Werk macht.[9] Herman Hoeksema argumentiert, dass „ noch nicht einmal gesagt werden kann, dass der Glaube die Hand ist, mit der wir die Errettung, die uns angeboten wird, ergreifen.“[10] Paulus stellt Gnade und Werke als Antithese gegenüber, ebenso wie Glaube und Werke; aber Glaube wird niemals als Gegensatz zur Gnade dargestellt. Wäre Glaube ein Werk, müsste dies aber der Fall sein. Wenn die Errettung aus Gnade ist, dann kann sie niemals aus Werken sein. „Wenn aber aus Gnade, so ist es nicht mehr um der Werke willen; sonst ist die Gnade nicht mehr Gnade; wenn aber um der Werke willen, so ist es nicht mehr Gnade, sonst ist das Werk nicht mehr Werk“ (Röm 11,6). Die Errettung ist nicht aus den Werken, sondern sie ist „aus Glauben, damit es aufgrund von Gnade sei“ (Röm 4,16). Der Apostel Paulus zählt viele Dinge auf, die „nicht aus Werken“ sind (Eph 2,9), aber der Glaube fehlt in seiner Aufzählung. Die Rechtfertigung ist nicht aus Werken (Röm 3,20). Die Gerechtigkeit ist nicht aus Werken (Röm 9,32). Die Erwählung ist nicht aus Werken (Röm 9,11). Das Empfangen des Heiligen Geistes ist nicht aus Werken (Gal 3,2). Die Errettung und Berufung ist nicht aus Werken (2Tim 1,9). Die Errettung ist nicht einmal aus „Werken der Gerechtigkeit“ (2Tim 1,9). Wäre der Glaube eine Gabe Gottes, würde dies bedeuten, dass Paulus damit meinte, dass der Glaube „nicht aus Werken“ sei (Eph 2,9). Charles Hodge, der Calvins Interpretation als „Tautologie“ [Wiederholung von bereits Gesagtem] verwarf, erkannte dies, macht aus der Aussage eine eingeschobene Aussage „und das nicht aus euch: es ist die Gabe Gottes.“[11] Aber zu sagen, dass der Glaube nicht aus Werken sei, wie die meisten Calvinisten es tun, ist nicht nur gegenstandslos, es ist überhaupt nicht notwendig. Die Bibel wiederholt mehrfach, dass wir nicht aus Werken errettet sind, gleichwohl werden wir durch Glauben errettet. Folglich, wenn ein Mensch nicht aus Werken errettet wird, dann kann der Glaube kein Werk sein. Gemäß der Schrift tut der Mensch kein Werk, wenn er glaubt oder wenn er Glauben hat:

Wer aber Werke verrichtet, dem wird der Lohn nicht aufgrund von Gnade angerechnet, sondern aufgrund der Verpflichtung; wer dagegen keine Werke verrichtet, sondern an den glaubt, der den Gottlosen rechtfertigt, dem wird sein Glaube als Gerechtigkeit angerechnet. Römer 4,4-5

Der Herr Jesus Christus selbst lobte die Ausübung des Glaubens (Mt 8,10; 9,2.22; 15,28; Mk 10,52; Lk 7,50).

Wie zuvor erwähnt, der Glaube ist nichts weiter als das Mittel, die Errettung zu empfangen. Er ist das von Gott bestimmte Mittel der Heilsaneignung.

Da wir nun aus Glauben gerechtfertigt sind, so haben wir Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesus Christus. Römer 5,1

 … denn ihr alle seid durch den Glauben Söhne Gottes in Christus Jesus. Galater 3,26

 … und in ihm erfunden werde, indem ich nicht meine eigene Gerechtigkeit habe, die aus dem Gesetz kommt, sondern die durch den Glauben an Christus, die Gerechtigkeit aus Gott aufgrund des Glaubens. Philipper 3,9

Dies wird von ehrlichen Calvinisten anerkannt. Der zuvor erwähnte Hodge gesteht ein, dass „es keinen Verdienst im Glauben gibt. Es handelt sich lediglich um den Akt des Empfangens einer angebotenen Gunst.“[12] Machen führt dies weiter aus:

Der Glaube muss nichts tun, sondern er empfängt etwas; dies bedeutet, dass es sich nicht um das Verdienen einer Belohnung handelt, sondern um die Annahme einer Gabe. Man kann von einem Menschen nicht sagen, dass er etwas für sich selbst erlangt, wenn er es durch Glauben empfängt. Tatsächlich bedeutet die Aussage, der Mensch erlange etwas durch Glauben, nichts anderes, als dass er es nicht für sich selbst empfängt, sondern es einem anderen erlaubt, dass dieser es für ihn erlangt. Glaube, mit anderen Worten, ist nicht aktiv, sondern passiv; und zu sagen, dass wir durch Glauben errettet sind, bedeutet, dass wir uns nicht selbst erretten, sondern dass wir allein durch den Einen errettet wurden, in dem unser Glaube ruht.[13]

Aber die heutigen presbyterianischen Theologen erkennen nicht nur die wahre Natur des Glaubens, Calvin selbst schrieb, dass die Errettung „keine Belohnung oder Wiedervergeltung ist, sondern ein Gnadengeschenk.“[14] Daher ist es gewiss angemessen, davon zu sprechen, dass Gott die Errettung anbietet und der Mensch sie aus freiem Willen empfängt. Calvin sprach über die zwei Seiten der Errettung:

Erwägen wir auf der einen Seite, was Gott tut, so betont der Apostel, dass er uns durchaus nichts schuldig ist. Unsere Seligkeit ist also keine Belohnung oder Wiedervergeltung, sondern ein Gnadengeschenk. Betrachten wir andererseits den Menschen, so kann derselbe nichts, als aus Gottes Hand die Seligkeit hinnehmen. Das Mittel dazu ist der Glaube. Daraus ergibt sich dann der Schluss, dass in diesem ganzen Handeln nichts aus uns selbst stammt. Damit fällt alle Kraft des eigenen Verdienstes und selbst gemachter Vorbereitungen auf die Gnade. Denn der Glaube kommt völlig leer zu Gott, um sich mit Christi Gütern füllen zu lassen. In dieser Stimmung weist uns der Zusatz: und dasselbige nicht aus euch. So sollen wir nichts uns selbst zuschreiben, sondern Gott allein als den Urheber unseres Heils anerkennen.[15]

Pink stellt diese TULIP-Theologie ebenso in Frage, denn, nachdem er erklärt hat, dass es sich sowohl bei dem Glauben als auch bei der Buße um eine Gabe handelt,[16] schreibt er später: „Die menschliche Seite unserer Errettung vor der Strafe der Sünde respektiert unsere Buße und unseren Glauben. Obgleich diese in keinster Weise einen Verdienst darstellen, und obgleich diese in keinster Weise unsere Begnadigung erkaufen können, sind sie dennoch gemäß der Ordnung, die Gott bestimmt hat, wesentlich.“[17]

Es sollte jetzt offenkundig sein, dass der errettende Glaube jedem Menschen zugänglich ist:

Sondern was sagt sie? »Das Wort ist dir nahe, in deinem Mund und in deinem Herzen!« Dies ist das Wort des Glaubens, das wir verkündigen. Römer 10,8

Demnach kommt der Glaube aus der Verkündigung, die Verkündigung aber durch Gottes Wort. Römer 10,17

Und noch eine praktische Anmerkung, wenn die calvinistische Theorie, der „Glaube sei eine Gabe Gottes“ wahr wäre, warum gibt Gott die Gabe des Glaubens und der Buße so vielen Amerikanern und so wenigen Albaner, Türken, Japanern und Sudanesen?

Die gesamte Debatte über die Frage, ob der Glaube eine Gabe Gottes an die „Erwählten“ ist, ist im Grunde bedeutungslos, denn, wie Houck sagt: „Wenn ein Mensch Glauben hat, dann deshalb weil Gott ihn bereits wiedergeboren hat.“[18] Wenn dies stimmt, dann geht es im eigentlichen Sinne überhaupt nicht um die Quelle des Glaubens. Die zuvor geführte Diskussion ist irrelevant, wenn Glaube und Buße erst dann dem Menschen gegeben werden, nachdem Gott den Menschen durch unwiderstehliche Gnade wiedergeboren hat. Und wenn Gott einen Menschen wiedergeboren hat, hat er keine andere Wahl, als Buße zu tun und zu glauben, wie Houck wiederum bekräftigt: „Da Gott dem Menschen bei der Wiedergeburt geistliches Leben gibt und da Gott ihn durch den rettenden Ruf unwiderstehlich zum Glauben ruft, muss er glauben.“[19] Aber es sind nicht nur die presbyterianischen und reformierten Calvinisten, die dies glauben, es sind auch die Vertreter der Sovereign Grace Baptists: „Baptisten haben immer geglaubt, dass es die Wiedergeburt war, die Buße und Glaube bewirkten, und nicht umgekehrt.“[20] Was der Autor hätte sagen müssen, wäre: „Calvinistische Baptisten haben immer geglaubt …,“ denn nicht alle Baptisten vertreten die calvinistische Lehrauffassung. Ein weiterer Vertreter der Sovereign Grace Baptists kommt zu dem Schluss, dass der Weg Errettung nur dann aus Gnaden sei, wenn die Errettung dem Glauben an Christus vorausgeht: „In einem früheren Werk schrieb ich, dass Gnade als unverdiente Gunst definiert wird und dass eine konsequente Anwendung dieser Definition jegliche Möglichkeit ausschließt, dass die Errettung (durch Gnade) unsere Handlung des Glaubens voraussetzt, bevor sie empfangen wird.“[21] Erneut zeigt sich, dass die vorangegangene Debatte irrelevant ist, betrachtet man sie im Lichte dessen, was Calvinisten wirklich über die neutestamentliche Errettung glauben.

 

Mit freundlicher Genehmigung von Laurence M. Vance.

Laurence M. Vance, The Other Side of Calvinism, Vance Publications, Orlando, Fifth Printing, 2014, S. 517-521.

 

[1] W. Robertson Nicoll, ed., The Expositor’s Greek Testament, Grand Rapids: Wm, B. Eerdmans Publishing Co, n. d., Col 3, S. 289; Kenneth S. Wuest, Ephesians and Colossians in the Greek New Testament, Grand Rapids: Wm. B. Eerdmans  Co, 1953, S. 69; Robertson, Vol. 4, S. 525; Alford, Vol. 3, S. 1216; Marvin R. Vincent, Word Studies in the Greek New Testament, McLean: MacDonald Publishing Co, n. d., Vol. 3, S. 376.

[2] Eddie K. Garrett, „Faith: The Gift of God,“ The Hardshell Baptists, June 1987, S. 1; Clark, Predestination, S. 102-103; Best, Justification, S. 54-55; Storms, Chosen for Life, S. 47-48.

[3] Homer Hoeksema, Voice of Our Fathers, S. 145.

[4] F. F. Bruce, Vorwort in Forster und Marston, God’s Strategy in Human History, S. VII.

[5] F. F. Bruce, The Epistles to the Colossians, to Philemon and tot he Ephesians, Grand Rapids: Wm. B. Eerdmans Co, 1984, S. 290.

[6] Johannes Calvin, Epheserbrief, S. 18. URL: https://lesekammer.de/jean-calvin-epheserbrief/.

[7] Augustine, On the Predestination of the Saints, S. 7, 8, 16.

[8] Houck, Sovereignty, S. 23.

[9] Rose, S. 45; Houck, Bondage of the Will, S. 13; Spencer, Tulip, S. 45.

[10] Hoeksema, Grace, S. 62.

[11] Hodge, Ephesians, S. 78.

[12] Hodge, Theology, Vol. 2, S. 365.

[13] J. Gresham Machen, What ist Faith?, Edingburgh, The Banner of Truth Trust, 1991, S. 195.

[14] Calvin, Commentaries, Vol. 11, S. 144.

[15] Ebd.

[16] Pink, Sovereignty, S. 50, 103.

[17] Pink, Salvation, S. 116-117.

[18] Houck, Sovereignty, S. 16.

[19] Ebd., S. 22.

[20] Keener, S. 205. Anmerkung: Die Südlichen Baptisten verabschiedeten 2012 ein Dokument, wonach sie als Denomination eine nichtcalvinistische Soteriologie vertreten, nachdem es zu Spannungen mit Calvinisten in den eigenen Reihen gekommen war.

[21] Gene D. Abbott, „Consistent Grace,“ The Baptist Examiner, 14. September 1991, S. 1.